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»Das darf nicht wahr sein«

Studieninstitut lässt an Rohrteichstraße drei gesunde Linden fällen

Von Gerhard Hülsegge
Bielefeld (WB). »Das darf doch nicht wahr sein«, entrüstete sich gestern Wilma Wiegmann (92). Eine der bekanntesten Malerinnen der Stadt musste mit weiteren Nachbarn an der Rohrteichstraße ansehen, wie drei offensichtlich gesunde Linden vor dem Studieninstitut für kommunale Verwaltung in Westfalen-Lippe gefällt werden sollten.

Christiane Rehrmann wollte gerade ihre Tochter zu den Ferienspielen bringen, als sie die Motorsäge aufheulen hörte. Auch sie mochte nicht glauben, was sie sah: dass den drei Bäumen - zwei davon mehr als 100 Jahre alt - der Garaus gemacht werden sollte. Die 46-jährige Designerin: »Es stimmt mich ungemein traurig, wenn die Straße vollkommen baumfrei wird.« Laub und Äste hätten niemanden gestört. Vermissen würden alle dagegen wohl bald das Singen der Vögel. Und die Baumfäller selbst hätten ihr gegenüber bestätigt, dass die Linden keinesfalls so krank seien, dass sie zu Brennholz verarbeitet werden müssten.
»Wir sind nur Subunternehmer und haben jetzt den schwarzen Peter«, meinte Bernd Kolbus, der im Hubsteiger zusammen mit Azubi Tim Karle seine Arbeit in 30 Metern Höhe verrichtete. Unten nahm Ehefrau Kirsten das Gehölz in Empfang. Jeder Ast, zum Teil innen morsch, wurde einzeln an einem Seil zu Boden gelassen. Zwischen 90 und 130 Zentimeter dick sind die Linden mit einem Stammumfang von bis zu vier Metern.
In Auftrag gegeben hat die Fällarbeiten das Studieninstitut Westfalen-Lippe, zuständig für die Aus- und Weiterbildung von Verwaltungsfachangestellten und Rettungskräften. Grund seien die permanente Beschädigung des Parkplatzes durch das Wurzelwerk und Beschädigungen an Pkw durch herabfallende Zweige, erklärte der Hausmeister. Mutmaßungen der Anwohner, die Bäume müssten verschwinden, damit mehr Licht in seine benachbarte Wohnung gelangt, wies er mit den Worten zurück: »Ich ziehe sowieso bald aus.«
»Ich bin mit den Bäumen groß geworden«, berichtet Günther Wilberg (76). Der Bielefelder kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als die Rohrteichstraße eine einzige Allee war. »Stück für Stück sind dann alle Bäume abgeholzt worden«, bedauert der Rentner. Wie er sieht auch Petra-Hildegard Wilberg in der jüngsten Baumaktion vor dem Haus an der Rohrteichstraße 71 eine Minderung der Wohnqualität für alle: »Wir möchten doch noch etwas im Grünen leben!«
Der Leiter des Studieninstituts, Dr. Dieter Büter, war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen; er befand sich nach Angaben seiner Mitarbeiterin auf Dienstreise. Die Stadt Bielefeld betrifft der Vorgang laut André Möller nicht. »Denn es gibt keine Baumschutzsatzung mehr«, sagte der Sprecher des Umweltbetriebes dem WESTFALEN-BLATT. Allerdings ist die Kommune Mitglied des Zweckverbandes des Studieninstituts. Und im Internet wird gar Bielefelds Oberbürgermeister Eberhard David als Vertretungsberechtigter genannt. Der war gestern aber auch nicht zu sprechen - wegen dringender Sitzungen, wie es im OB-Büro hieß.
Ob die Fällarbeiten an der Rohrteichstraße bis zum Wochenende abgeschlossen sind, stand am Freitag noch nicht fest. Gestern Abend wurden durch abgesägte Äste das Kabel für die Straßenbeleuchtung und ein Pkw beschädigt.

Artikel vom 22.04.2006