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Kein Warten auf Weihnachten:
»Packe Geschenk vorher aus«

Eintracht-Mittelstreckler Elias Sansar vor seiner Hermannslauf-Premiere

Von Jörg Manthey
Bielefeld (WB). Es ist diesig und nasskalt auf der Detmolder Grotenburg. Hermanns steinerne Schwertspitze verschwindet in der grauen Suppe, die sich über dem Denkmal des Cheruskerfürsten zusammengebraut hat. Die ungemütlichen äußeren Verhältnisse und das schummrige Halbdunkel machen dieses Fotoshooting zu einem Geduldsspiel. Der feine Nieselregen zermürbt den zappelnden Elias Sansar. Ihm schaudert. »Mach schnell. Ich werde nass«, drängt der 26-Jährige vom TuS Eintracht zur Eile. Sansar hat eine Heidenangst, sich zu erkälten, eine Woche vor dem 35. Hermannslauf. Seinem ersten.

Wenige Minuten später in der Wärme der »Cherusker Stuben« wirkt Elias Sansar schon deutlich entspannter. Vorsichtig nippt er an seinem dampfenden Pfefferminztee und sagt, warum er sich so kurz entschlossen hat, die kommende Laufsaison mit dem »Hermann« zu eröffnen. »Eigentlich hatte ich es erst für 2007 vor. Aber ich hab's einfach nicht mehr ausgehalten. Ich fühle mich ein bisschen wie ein Kind vor Weihnachten, dass nicht mehr so lange warten will und die Geschenke vorher auspackt«, schmunzelt der flotte Mittelstreckler.
Kaum zu glauben: Obwohl er bloß drei Kilometer Luftlinie vom »Hermann« entfernt wohnt und alle Tage beim Blick aus dem Fenster das Denkmal aus dem Wald ragen sieht, ist Elias Sansar mit dem »Lauf der Ostwestfalen« noch nie in Berührung gekommen; weder als Aktiver denn als Zuschauer. Absichtlich. »Seit Jahren blutet mir das Herz, wenn ich weiß, was da abgeht und weiß, dass ich vorne mitmischen könnte. Doch ein Ausdauerprogramm wie der Hermannslauf hat einfach nie in meine Vorbereitung auf die Bahnsaison reingepasst, die ja immer im Mai losgeht«. Wie demnächst die 5000 Meter in Koblenz. Aber in diesem Jahr lässt Elias Sansar den Einwand nicht gelten. Das »erste Mal« steht unmittelbar bevor, »und dafür muss man auch etwas opfern«.
Nun ist es nicht so, dass der wie Phönix aus der Asche gekommene Mitfavorit auf den Tagessieg auf eine Extrawurst pocht. Bernd Johann auf der Heide, für den TuS Eintracht der Hermannslauf-Koordinator, erläutert: »Mit Sven Langeleh und Frank Henselmann müssen zwei unserer angemeldeten Athleten passen. Elias wird eine dieser Optionen auf eine Startnummer nutzen. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Hingegen wäre es wohl nicht okay, wenn normale Hobbyläufer zurückgewiesen werden und einer wie er eine Sonderbehandlung erhält. So etwas wollen wir auch nicht«.
Bernd Johann auf der Heide ist gespannt, wie es um das Stehvermögen des Debütanten gestellt sein wird. »Elias hat im Gegensatz zu Spitzenleuten wie Marcus Biehl oder Ingmar Lundström überhaupt keine Erfahrungswerte auf dieser Strecke und weist auch nicht den hohen Trainingsstand auf wie sie. Trotzdem traue ich ihm einen Platz auf dem Podest zu, wenn er bedachtsam läuft und nicht gleich sein 10 000-Meter-Tempo vorlegt. Er sollte erstmal ein bisschen in der Reserve bleiben. Aber ich freue mich, dass er es einfach mal riskiert«.
Sansars Platzierungen in der Wintersaison konnten sich allemal sehen lassen. Sechster der Cross-DM über 9,2 Kilometer, Sieger des Christkindllaufes in Wiedenbrück (10 km), Zweiter beim Gütersloher Silvester-Lauf (10 km), OWL-Hallenmeister über 3000 Meter, Vierter beim Lauf Rund ums Bayerkreuz (10 km).
Elias Sansar hält beim TuS Eintracht fünf Vereinsrekorde, über 1 500 m (3:46,10 min), 3000 m (8:25,34 min), 5000 m (14:07,91 min), 10 km (31:00 min) und 21,095 km (1:08,51 min). Eine hügelig-bergige Distanz jenseits der 30 Kilometer ist nicht darunter.
Bei allem Ehrgeiz versteht Sansar seine Premiere mehr als »Spaßlauf, als Teststrecke. Hoffentlich verlaufe ich mich nicht«. Einen Start-Ziel-Sieg verweist er in das Reich der Fabel. »Ich werde kein Harakiri machen, aber auch nichts anbrennen lassen. Keiner soll mir entwischen. Ob es ein eher schnelles oder eher langsames Rennen wird, ist mir eigentlich egal - am Ende werde ich wohl der Spurtstärkste sein. Ich hoffe auf ein spannendes Verfolgungsrennen mit vielen Positionswechseln. Das macht Spaß«. Mit dem ersten Einwand: »Hauptsache, es gibt keinen Schnee. Auf Schnee kann ich nicht laufen«. Zweiter Einwand: »Und wenn der Körper mitmacht«. Denn ab und an mache sein Körper zurzeit Spirenzchen, wenn ein Stechen vom Rücken ausgehe und irgendwann in Atemnot münde. »Nur mein Körper kann mich stoppen«, wiederholt Elias Sansar zur Bekräftigung.
Auf den Paderborner Osterlauf - dort war er im Vorjahr Gesamt-14. über die 10 Kilometer - habe er zugunsten des »Hermann« diesmal verzichtet. »Ich habe an dem Tag stattdessen einen langen Dauerlauf unternommen«.
Das »erste Mal« hat bei Elias Sansar, der berüchtigt ist für seine Schlafstörungen vor Wettkämpfen, einen nächtlichen Albtraum erzeugt. Das Szenario: »Es passiert an der Panzerbrücke. Ich bin kurz vorm Verdursten und greife nach Wasser - doch die Becher sind irgendwie nicht Materie. Ich fasse durch, ins Leere, immer wieder«. Dabei steht für ihn fest, dass er normalerweise ohne Verpflegungsstation auskommen will. Wie vor einem Monat in Herten-Bertlich bei den deutschen Meisterschaften im Halbmarathon, die er in 1:08:51 Stunden auf Position 17 beendete.
So oder so scheinen längere Distanzen beim Eintrachtler neuerdings einen gewissen Schlüsselreiz auszulösen. Elias Sansar überlegt ernsthaft, sich in diesem Jahr eine weitere Premiere zu gönnen und am 24. September beim 33. Berlin-Marathon zu starten. Da könnte dann Vereinsrekord Nummer sechs fallen . . .

Artikel vom 25.04.2006