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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


»Kann die Seele ewig leben?« fragt die Fernsehzeitschrift »Hörzu« auf der Titelseite ihrer Ausgabe vom 14. April und macht die Aussage: »Hirnforscher stellen das Leben nach dem Tod in Frage und erschüttern damit ein wichtiges Fundament des Glaubens.« In dem Artikel dazu selbst heißt es weiter: »Hirnforscher (widerlegen) den Kern des Christentums: Sie behaupten, daß der Mensch keine Seele habe. Und damit greifen sie eine Grundlage des Glaubens an, die Hoffnung auf Erlösung, Auferstehung und ein Leben nach dem Tod. Und mehr noch, für einige Wissenschaftler ist Gott nur eine Vision, ein Fehler unseres Gehirns.«
Was ist von solchen Thesen zu halten? Erstens nicht mehr als dies, daß es sich dabei lediglich um Behauptungen handelt. Es sind -zweitens- Schlußfolgerungen, die auf einer ganz bestimmten Vorraussetzung beruhen, von der -drittens- allerdings so getan wird, als ob es sich um eine unumstößliche, wissenschaftlich fundierte Wahrheit handelte.
Diese Vorraussetzung lautet: Der Mensch ist nichts weiter als Materie; er läßt sich daher vollständig aus seiner Biologie, aus seiner Körperlichkeit, ableiten und verstehen. Geist, Gefühle, Wille, Glaube und das, woran einer glaubt, sind demnach nichts anderes als Produkte des entsprechenden Körperorgans, des Gehirns. Sie haben keinerlei eigenständige Realität. Auch eine Seele kann es folglich nicht wirklich geben.
Diese Voraussetzung indessen, der Mensch sei nichts weiter als sein Körper, ist aber keineswegs ein wissenschaftlich begründeter Lehrsatz, sondern nur eine Annahme, eine Meinung, die Aussage eines bestimmten -nämlich materialistischen- Glaubens. Zwar ist ein Mensch, solange er in dieser Welt und Zeit lebt, an seinen Körper gebunden. Keine Frage auch, daß Hirnoperationen oder die Einnahme von Medikamenten, Drogen und anderen Suchtmitteln die Struktur seiner Persönlichkeit ebenso verändern können wie bestimmte Krankheiten. Aber damit läßt sich doch nicht ernsthaft widerlegen, daß es so etwas wie Geist, Seele und Gewissen überhaupt gibt, daß sie eigenständig sind und nicht nur als rein körperliche und biologische Abläufe zu erklären sind.
Die Seele ist der Personkern des Menschen, der Sitz seines Bewußtseins. Aber auch, was unterhalb des wachen Bewußtseins in ihm schlummert und sein Denken, Fühlen und Handeln insgeheim, aber sehr nachhaltig beeinflußt und steuert, gehört dazu.
Viele meinen -so auch die »Hörzu«-, nach christlicher Lehre sei die Seele im Gegensatz zum Körper unsterblich. Sie kehre nach dem Tode zu Gott zurück, während der Leib wieder zu Erde oder zu Asche werde. Diese Auffassung stammt jedoch aus der griechischen Philosophie, und die Bibel hat sie so gerade nicht übernommen. Ihr liegt nämlich eine Zweiteilung des Menschen zugrunde. Diese unterscheidet einen guten inneren und daher von Natur aus unvergänglichen und ewigen Kern, nämlich die Seele, von seiner minderwertigen endlichen Hülle, eben dem Leib.
Nach christlichem Glauben hingegen bedarf der ganze Mensch der Erlösung durch Gott. Auch seine Seele ist sterblich und kann nur -durch den Tod hindurch- in eine unsterbliche verwandelt werden. Wie das geschieht, entzieht sich allerdings der Erfahrung. Auch das Neue Testament bedient darüber nicht das menschliche Vorstellungsvermögen. Es achtet vielmehr das Geheimnis Gottes und seiner unbegrenzten Möglichkeiten, die der Verstand des Menschen nicht fassen kann.
Entscheidend jedoch ist das Zeugnis, das der Apostel Paulus so formuliert: »Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten (dabei denkt er in kosmischen Dimensionen), weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn« (Röm. 8, 38.39). Die Liebe Gottes, die sich in Christus zeigt, hört auch mit dem Tode für einen Menschen nicht auf. Das zu wissen, genügt zum Leben und zum Sterben.

Artikel vom 22.04.2006