Das mediale Kinderzimmer wird niemals einen Zoobesuch oder die Vorlesestunde ersetzen können.
Leitartikel Neuer Unterricht in England
Glück lässt sich nicht »einpauken«
Von Daniela Rahn In der Schule lernt man fürs Leben. Dieser Satz soll für die Schüler eines Colleges in der britischen Kleinstadt Crowthorne jetzt eine neue Bedeutung bekommen. Wie der Direktor der Schule verkündete, wird es demnächst »Unterricht im Glücklichsein« geben. Man habe sich in der Vergangenheit zu sehr auf das Akademische konzentriert und dabei Wichtiges übersehen: den Wunsch nach Glücksgefühlen. In dem Pilotprojekt soll »positive Psychologie« gelehrt werden. In einer Unterrichtsstunde pro Woche soll 14- bis 16-Jährigen vermittelt werden, wie sich Beziehungen harmonisch gestalten lassen und wie »negative Emotionen« überwunden werden können. England ist nicht Deutschland - und doch nah dran. So ist es wohl erlaubt, Parallelen zu ziehen. Unsere Kinder wissen also nicht mehr, was Glücksgefühle sind und wie man sie »produziert«? Und sollen es nun in einer 45-minütigen Lerneinheit schulisch eingetrichtert bekommen? So verlockend die Vorstellung klingt, dass man mit verhältnismäßig geringem Aufwand so etwas wie Glück in einem Heranwachsenden »anpflanzen« kann, so dumpf werden wohl jene, die es sicher gut meinen, auf den Boden der Tatsachen zurückfallen, wenn es um die »Erfolgsquote« geht. Nimmt man das »Projekt Glücksgefühle« kritisch unter die Lupe, so wird hier eine Aufgabe, die zweifelsohne in den Verantwortungsbereich der Eltern fällt, einfach weiterverwaltet. Dass sogar Psychologen und Sozialwissenschaftler das Projekt unterstützen, mutet umso abstruser an, als eben jene doch wissen sollten, dass man sich Glück nicht wie eine Fremdsprache »mal eben so« aneignen kann und dass der emotionale Nährboden schon im Kleinstkindalter bereitet wird. Die Keimzelle aller Emotionen ist und bleibt die Familie, egal, ob es sich um Eineltern-, Patchwork-Familien oder um die ganz klassische Form mit Mutter, Vater und Kind handelt. Wichtig ist, dass in den ersten Lebensjahren tragfähige Bindungen aufgebaut werden. Bindungen, die einem Kind am Ende immer signalisieren: Du bist geliebt, gewollt und du bist gut so, wie du bist. Glück ist nicht, wenn im Kinderzimmer dauernd die gesamte mediale Ausstattung des 21. Jahrhunderts »upgedatet« wird. Und wer über Papas üppige Geldbörse verfügen und sich mehr leisten kann als andere, ist vielleicht vorübergehend ziemlich »cool«, aber noch lange nicht glücklich. Vielleicht erscheint die Szenerie vom gemeinsamen Waldspaziergang, vom Entdecken der Tiere im Zoo und der gemütlichen Vorlesestunde vielen altbacken und verstaubt. Dabei sind diese Erlebnisse etwas ganz Besonderes. Keine Internet-Flatrate der Welt wird sie je ersetzen können. Und keine Schule könnte jemals dieser großen Aufgabe gerecht werden. Wer glaubt, Kinder, die zu Glücksgefühlen nicht fähig sind, mit einer Schulstunde belehren zu können, bringt vielleicht die Spitze des Eisberges zum Schmelzen. Zu mehr wird es aber nicht reichen.