20.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Die vielen Heuschrecken, die ich rief

Seifert wurde Hedgefonds TCI nicht mehr los -ÊEx-Börsenchef rechnet ab

Von Bernhard Hertlein
Frankfurt (WB). Etwa ein Jahr ist es her, dass der jetzige Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) vor einer neuen riesigen Gefahr für die deutsche Wirtschaft warnte: Heuschrecken. »Bis dato«, schreibt Werner Seifert, »bin ich bei so ziemlich jedem politischen Thema anderer Ansicht gewesen als er.«

Nun plötzlich befand sich Seifert, damals noch amtierender Chef der Deutschen Börse AG, in einer Linie -Ê»wenn auch nur rhetorisch« - mit Müntefering. So eng schloss sich die Reihe, dass Seifert den Kampfbegriff des SPD-Politikers sogar in den Titel seiner Abrechnung mit dem »The Children's Investment Fund« (TCI) übernahm: »Invasion der Heuschrecken«.
Seifert schildert in dem Buch den Abwehrkampf von Vorstand und großen Teilen des von Rolf Breuer (Deutsche Bank) geführten Aufsichtsrates gegen eine Minderheit von zuletzt allerdings immerhin 30 Prozent der Aktionäre. Seitenlang liest sich sein Bericht wie ein Krimi. Dabei erstaunen die harten Bandagen. Unfaire Mittel wandten nur die Heuschrecken an. Seifert sieht auch aus heutiger Sicht nichts, was er sich selbst vorzuwerfen hätte.
Im Gegenteil: Er fühlt sich von allen im Stich gelassen: von der deutschen Öffentlichkeit, den Medien, der Politik, den Mehrheitsaktionären der Deutschen Börse. Obwohl er und sein Ko-Autor, der in Spanien lebende Ökonom Hans-Joachim Voth, in ihrem Ton jede Larmoyanz vermeiden, muten die Vorwürfe etwas merkwürdig an. Schließlich gehörte Seifert zu denen, die mithalfen, den Heuschrecken den Boden zu bereiten. Stets setzte er sich für mehr, nicht weniger Liberalität auf den Finanzmärkten ein. Pech für ihn, dass die Heuschrecken, die er rief, ausgerechnet seinen Acker abgegrast haben.
Seifert hütet sich auch jetzt, Hedgefonds in Bausch und Bogen zu verurteilen. Die Politik müsse nur den egoistischen Aktionären, die ihrer Verantwortung für das Unternehmen nicht gerecht werden, das Handwerk legen. Doch wie soll das geschehen? Mit einer Verpflichtung zu mehr Offenheit, sagt Seifert. Also eine Art Sozialverträglichkeitsprüfung für Aktienbesitzer?
Sicher nicht.
Woran Seifert keinen Zweifel lässt: Die Übernahme der Londoner LSE und damit die Schaffung einer europäischen Superbörse lag sowohl im Interesse der von ihm geführten AG als auch der EU-Wirtschaft. Sein Problem: Genau davon konnte Seifert offenbar auch die 70 Prozent, die nicht auf der Seite der von CDU-Finanzfachmann und Rechtsanwalt Friedhelm Merz unterstützten »rebellischen Heuschrecken« standen, nicht so überzeugen, dass sie sich hinter ihn gestellt hätten.
Die Lektüre von Seiferts Buch lohnt sich trotzdem -Êund nicht nur für Manager in anderen Aktiengesellschaften, die vielleicht damit rechnen müssen, irgendwann selbst von einem Heuschreckenschwarm aufgesucht zu werden.

WERNER SEIFERT: Invasion der Heuschrecken -ÊIntrigen, Machtkämpfe, Marktmanipulation, 266 S., Econ-Verlag, 19,95 Euro.

Artikel vom 20.04.2006