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Kamal Nath

»China wird alt,
bevor es reich
werden kann.«

Leitartikel
Partnerland Industriemesse

Indiens Tiger lieben große
Sprünge


Von Bernhard Hertlein
Indien ist in diesem Jahr zweimal Partnerland einer großen deutschen Messe -Êzunächst vom Montag an der Industriemesse in Hannover, dann, im Oktober, der Frankfurter Buchmesse. Die zeitliche Reihenfolge ist rein zufällig -Êund doch auch bezeichnend: Indien, traditionell und nach wie vor ein großes Kulturland, schafft es inzwischen häufiger auf die Wirtschafts- als auf die Feuilleton-Seiten europäischer Zeitungen.
Weil alle Welt auf China schaute, wurde Indiens Wirtschaft lange Zeit unterschätzt. Heute liegt der Unionsstaat mit durchschnittlichen Wachstumsraten von acht Prozent vor China. Zwar hinkt die Wirtschaftsleistung insgesamt mit 626 Milliarden Euro noch hinter den 1,65 Billionen der Volksrepublik hinterher. Doch die selbstbewussten Inder hindert dies nicht, auch mit Peking in Konkurrenz zu treten.
»China wird alt, bevor es reich werden kann«, verkündete kürzlich Handelsminister Kamal Nath mit Blick auf die sehr viel schneller wachsende Bevölkerung seines Landes. 2040 -Êmanche Prognosen sprechen auch schon von 2025 oder 2030 - wird Indien nach China und den USA, aber vor Japan und allen europäischen Staaten die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt sein.
Konzerne wie SAP, Oracle und Microsoft schätzen Indien als Standort zur Entwicklung von Software. Andere lagern kundennahe Dienstleistungen wie Call Centers in diesen Teil der Erde aus. 2005 schuf die indische IT-Branche 70 000 neue Stellen. In diesem Jahr können es, so wird geschätzt, 100 000 werden. Möglicherweise stößt der Subkontinent damit sogar an die Grenzen seines Wachstums.
Aber die Dynamik der indischen Wirtschaft beschränkt sich nicht auf IT, Call Center und die Filmindustrie (»Bollywood«). Lakschmi ist die Göttin des Glücks und Spenderin von Reichtum. Es ist auch der Vorname Lakschmi Mittals. Der Unternehmer kaufte ein Stahlwerk nach dem anderen, als diese billig abgestoßen wurden. Heute rangiert er in der Gruppe der reichsten Erdenbürger ganz weit oben. Die Übernahme des europäischen Stahlkonzerns Arcelor wäre sein größter Coup.
Selbst die verarbeitende Industrie legte im vergangenen Geschäftsjahr neun Prozent und damit überdurchschnittlich zu. Sogar die Landwirtschaft fuhr eine um elf Prozent größere Ernte ein. Indiens Wachstum beschränkt sich also keineswegs auf ein paar Modeindustrien. Dies bestätigen auch deutsche Konzerne wie Bosch und Siemens, die in Indien mehrere tausend Leute beschäftigen.
Die Wahl Indiens als Partnerland der Industriemesse ist gut begründet. Zur Eröffnung kommt Premierminister Manmohan Singh -Êjener Politiker, der als Finanzminister vor acht bis zehn Jahren die Reformen anstieß, deren Früchte heute keimen. Gewiss hat Indien auch Probleme: Ein Drittel lebt unter der Armutsgrenze. Ebenso groß ist die Zahl der Analphabeten. In einigen Regionen kämpfen bewaffnete Rebellen für mehr Autonomie. Der Unterschied zu China ist: In Indien berichtet eine freie Presse über Mißstände.

Artikel vom 21.04.2006