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Planetarien ersetzen
die Himmelsscheiben

Heiler und Propheten suchten Fingerzeige der Geister

Von Dietmar Kemper
Bad Lippspringe (WB). Dem langen, intensiven Hinschauen der Vorfahren verdankt die Menschheit einen archäologisichen Schatz. Vor 3600 Jahren entstand die Himmelsscheibe von Nebra. »Und das, obwohl die Menschen keine Beobachtungsinstrumente kannten«, betont Reinhard Wiechoczek.
Himmlisches Spektakel auf der Scheibe von Nebra. Foto: dpa
Während der Präsident der Planetariumsgesellschaft OWL auf Spitzentechnik von Zeiss aus Jena setzt, vertrauten die Männer und Frauen der Bronzezeit dem bloßen Auge. Während jeder der 6300 Fixsterne in modernen Planetarien eine eigene Glasfaser bekommt und so hell dargestellt wird, wie er ist, wirkt das Abbild auf der Himmelsscheibe wie von einem Kind gemalt. Während das für Bad Lippspringe im Kreis Paderborn favorisierte Planetarium aus 10 000 Einzelteilen besteht, um auch Nebel, Galaxien, Sternbild- und Tierkreisfiguren sowie Mondphasen wiederzugeben, wirkt die Himmelsscheibe im Vergleich zu den brillanten optisch-mechanischen Instrumenten wie ein unbeholfener Versuch.
Seit Jahrtausenden blicken die Menschen zum Himmel und beschäftigen sich mit der Frage: Bestimmt der Lauf der Himmelskörper den Lauf der Dinge auf der Erde? Als älteste konkrete Darstellung gilt die Himmelsscheibe von Nebra. Sie wurde 1999 von zwei Raubgräbern auf dem Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt gefunden und drei Jahre später sichergestellt, als die Polizei eine Verkaufsaktion in der Schweiz inszeniert hatte.
»Durch intensives Beobachten wollten unsere Vorfahren feststellen, nach welchen Mustern sich Himmelskörper bewegen«, sagte Reinhard Wiechoczek gestern dieser Zeitung. Dabei habe sie nicht naturwissenschaftliches Interesse geleitet, sondern die Hoffnung auf Einblicke in die Zukunft. »Heiler und Propheten suchten Fingerzeige von Göttern, Geistern und Dämonen«, erklärt Wiechoczek. So sei das Auftauchen eines Kometen als Ermutigung gedeutet worden, gegen die verfeindeten Nachbarn loszuschlagen. Zum unermüdlichen Prediger der Nächstenliebe führte ein heller Stern Kaspar, Melchior und Balthasar. »Die drei Weisen aus dem Morgenland würde man heute als Sterndeuter bezeichnen«, betont Wiechoczek.
Als Jesus geboren wurde, existierte die Himmelsscheibe von Nebra bereits. Mittlerweile stößt sie auch in China auf großes Interesse. »Wir haben mit der Jiao Tong Universität in Shanghai eine wissenschaftliche Kooperation vereinbart«, sagte gestern Landesarchäologe Harald Meller in Halle an der Saale. China wolle die Himmelsscheibe im Land zeigen. Die ältesten Himmelsdarstellungen im Reich der Mitte seien etwa 1000 Jahre jünger und auf gewölbten Gräbern reicher Fürsten zu sehen, erläuterte Meller. Darauf erkenne man Sonne, Mond und Sterne sowie die Milchstraße. Viel genauer bilden die mehr als 580 Zeiss-Planetarien in aller Welt den Himmel ab. Eines davon steht im Naturkundemuseum in Münster. Bis 2008 soll auch das Planetarium in Bad Lippspringe fertig sein.

Artikel vom 19.04.2006