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Alles paletti, Droyd?«, sagte er. »Der Arsch immer schön im Trocknen?«
»Logo, Mann, logo«, gluckste das Frettchen. Es war klein und trug einen zweiteiligen Trainingsanzug mit seidig glänzendem Finish, etwa von der Art, wie ihn die Schauspieler in Feuer frei! getragen hatten. Um seinen Hals hing eine schwere Goldkette, an den Fingern steckten klobige goldene Ringe, und die Handrücken zierten plumpe blaue Tattoos, die aussahen, als habe er sie sich selbst gestochen.
»Ist vielleicht jemand so freundlich, mir zu erklären, was hier los ist?«, keuchte ich. »Wer ist der Kerl? Was, zum Teufel, denkt der sich dabei, hier einfach mitten in der Nacht reinzuplatzen?«
»Das ist Droyd, Charlie«, sagte Frank, der sich wieder umwandte. »Genau, was machst du eigentlich hier?«
»Bin grade rausgekommen«, sagte das Frettchen.
»Wo rausgekommen?«, bohrte ich nach.
»Knast. Hey, Frankie Boy, was ist das für Õne Schwuchtel?«
»Das ist Charlie. Alles in Ordnung, Charlie?«
Ich winkte gleichmütig ab. Inzwischen lag ich wieder auf dem Boden und hyperventilierte.
»Du hättest ihn nicht so würgen sollen, er ist ein bisschen empfindlich.«
»War nicht meine Schuld«, sagte die andere Stimme oberhalb meines Kopfes. »Hab nicht damit gerechnet, dass da auf einmal eine ägyptische Mumie reinplatzt.«
»Ha!«, krächzte ich. »Sehr komisch. Und ich hab nicht damit gerechnet, dass da ein völlig Fremder in unsere Wohnung einbricht und mich zu unchristlicher Stunde aus dem Schlaf reißtÉ«
»Überhaupt nicht unchristlich, Charlie, ich hab noch nicht mal Abendessen gehabt.«
»Komisch, ich auch nicht«, hörte ich den frettchenartigen Kerl sagen, worauf Charlie ihn natürlich einlud, mit uns zu Abend zu essen. Ich versuchte mich wieder in mein Zimmer zu verdrücken, doch Frank hatte mich schon am Arm. »Komm, Charlie«, sagte er. »Wir essen jetzt was zusammen, und alles ist wieder bestens, okay?« Und so, nur eine halbe Stunde, nachdem man mich aus dem Bett gescheucht und verprügelt hatte, saß ich mit den beiden am Tisch, fragte mich wie betäubt, wie mein Leben nur eine solch schreckliche Wendung hatte nehmen können, und hörte Frank den Eindringling fragen, wie es denn so gewesen sei, die ganze Zeit, wo er »weg« war - als sei er nur mal eben auf Kneippkur in Karlsbad gewesen.
»War gar nicht so übel«, sagte Droyd. »War wie immer, mal schlechter, mal besser. Kann dir sagen, da drin läuft man echt Typen über den Weg. Wie bei dieser Szene in Lethal Weapon, weißt schon, wo Riggs in der Zwangsjacke steckt und sich selbst seine Schulter auskugelt, damit er abhauen kann.«
»Mann, das war vielleicht eklig«, sagte Frank wohlig.
»Da war einer im Bau, der konnte das auch. Na ja, er konnte das Ding rausschnappen lassen, hatÕs aber nicht wieder reingekriegt. Eigentlich hat erÕs auch nicht selber rausschnappen lassen, sondern dieser andere Kerl hatÕs gemacht, der hat Johnny No-Fingers geheißen, das war vielleicht einerÉ«

A
nscheinend war Droyd eingesperrt worden, weil er den Handlanger für einen lokalen Drogenhändler namens Cousin Benny gemacht hatte. Ich gestehe, dass ich die Ohren spitzte, als er das sagte, da mich der Gedanke, selbst einen Handlanger zu haben, schon immer fasziniert hatte. Dieser Cousin Benny lebte in einem Wohnblock westlich von hier und war eigentlich niemandes Cousin. Den Namen sollte ich während meines vorübergehenden Aufenthalts in Bonetown noch öfter hören, immer ausgesprochen mit gesenkter Stimme und begleitet von einem verstohlenen Blick über die Schulter. Sogar Frank schien etwas Angst vor ihm zu haben.
»Verdammt«, sagte er. »Wie bist du bloß an dieses Dreckschwein gekommen?«
»War auf Stoff«, sagte Droyd nüchtern. »Weißt ja, wie das läuft. Hatte nie genug Kohle. Erst hab ich alte Ladys beklaut, als das nicht ausreichte, hab ich Autos geknackt, und als das auch nicht mehr reichte, hab ich angefangen, für Benny zu arbeiten. Eigentlich ganz logisch, wenn man drüber nachdenkt. Benny hat mir Angestelltenrabatt gegeben.« Er kaute, schluckte und legte die Gabel zur Seite. »Tja, am Anfang ist alles echt geil, da geht die Post ab«, sagte er seufzend. »Aber am Ende ist alles im Arsch. Egal, für mich ist das gegessen. Bin ein anderer Mensch jetzt.«

E
r beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ die Fingerknöchel knacken. Das außerirdische Flackern des Fernsehers spielte auf seinem knochigen Gesicht. Für einen Augenblick tat er mir fast Leid, und ich wollte ihn schon fragen, ob er das Heroin als Ersatz für das Selbstwertgefühl genommen habe, das die Gesellschaft ihm vorenthalten habe, da wandte er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Teller zu.

I
ch konnte es nicht mehr ertragen. Ich drückte mir mein Taschentuch vor den Mund und stolperte in mein Zimmer, wobei ich heimlich das Telefeon mitgehen ließ. Ich kniete mich in der Dunkelheit auf den Boden, wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel und wählte Boyds Nummer. Das Telefon schien eine Ewigkeit zu klingeln, bevor jemand abhob. Und dann war alles, was vom anderen Ende der Leitung zu hören war, eine Art leises krächzendes Stöhnen.
»Boyd?«, flüsterte ich. »Bist du dran?«
»Charles.« Es klang erbarmungswürdig.
Ich erkannte seine Stimme nicht, sie glich kaum noch der eines menschlichen Wesens. Eisiges Grauen durchschauerte meinen Körper. »Was ist los mit dir?«, fragte ich. »Ist das etwa noch die Erkältung?«
»Nein, keine Erkältung«, flüsterte er.
»Nicht? Was um Himmels willen dann?«
»Lassafieber«, sagte er trübselig.
»Lassafieber?«
»Scheint so«, sagte er und unterbrach für einen ausgiebigen Hustenanfall.
»Aber das ist doch absurd«, sagte ich verdrossen, nahm das Telefon und ging damit im Zimmer herum. »Wie soll das gehen? Wie willst du dir Lassafieber eingefangen haben?«
»Von den Stewardessen«, sagte er bitter.
»Oh.« Ich spürte, wie meine Knie nachgaben. Ich sank auf meiner Matratze zusammen. »Verdammt.«

E
ine von den Stewardessen hätte es aus Afrika mitgebracht und das ganze Haus angesteckt. Sie stünden alle unter Quarantäne, sagte Boyd. »Draußen vor der Tür hält sogar ein Polizist Wache«, sagte er niedergeschlagen. »Für den Fall, dass wir ausbrechen und mit den Ladeninhabern hier in der Gegend intim werden wollen. Außer den Ärzten darf keiner rein.«
Ich sackte an der Wand zusammen. Mich überkam das Gefühl der Ausweglosigkeit, das mich schon im Hotel befallen hatte: Als wäre ich nicht Herr meines eigenen Schicksals, als wäre irgendwer oder irgendwas darauf aus, mir eine Lektion zu erteilen. Von nebenan drang obszönes Gelächter an mein Ohr.
»Tut mir Leid, alter Junge«, murmelte Boyd.
Deprimiert rieb ich mir das Kinn. Da war nichts zu machen, und Boyd hörte sich an, als ginge es ihm mit jeder Minute schlechter. Ich sagte ihm, er solle sich wieder ins Bett legen, bevor er aus den Latschen kippe.
»Ja«, nuschelte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Ist wohl besser, das Nashorn kommt gleich wieder reinÉ«
»Genau, also leg dich wieder hin.«
»Verdammte Pest É Pest, verdammte, Charles É weckt mich dauernd auf É will Strip Poker spielenÉ«
»Ja, ja, schon gut. Also, sei ein braver Junge undÉ«
»Ich sag noch É wie kannst du denn Strip Poker spielen? É Scheißnashorn, erstens hast du keine Hände É und zweitens É hast du gar keine Klamotten. Geht doch sonst gar nicht É Ist É ist doch die Voraussetzung.«

I
ch blieb für den Rest des Abends in meinem Zimmer. Droyd ging in dieser Nacht nicht nach Hause, auch nicht am nächsten Morgen, und fast den ganzen folgenden Nachmittag stand ich unter der Knute dessen, was er - offenkundig ohne Ironie - seine »Musik« nannte. Manchmal klang es wie etwas Riesengroßes aus Metall, das eine endlose Treppe hinunterkrachte - ein Panzer vielleicht oder ein gigantisches Messersortiment. Manchmal klang es wie hunderttausend Nazis, die im Stechschritt über die Place de la Republique marschierten. Die Grundidee schien zu sein, das Geräusch einer kollabierenden Zivilisation einzufangen, und zwar so laut, dass man nichts anderes tun konnte, als vibrierend auf seiner Matratze zu liegen.
Obwohl man natürlich nicht ungastlich sein wollte, hatte ich ab dem nächsten Tag, als er immer noch da war, doch das Gefühl, dass unsere Gutartigkeit ausgenutzt wurde. Während einer besonders lauten Passage seines Radaus nahm ich Frank in der Küche auf ein Wort beiseite.
»Was ist los?«, brüllte er, während er sich ein Dosenbier aus dem Kühlschrank nahm und ich mit den Fingern in den Ohren vor ihm stand.
»Ich hab gesagt, dass man natürlich nicht ungastlich sein will«, bellte ich zurück. »Aber hat er vor, irgendwann in nächster Zeit nach Hause zu gehen?«
»Keine Ahnung, Charlie. Frag ihn doch.«
»Ich will ihn nicht fragenÉ« Ich gab auf, es hatte keinen Sinn. Mit jedem Stampfen hüpften die Tassen auf dem Abtropfbord ein Stückchen näher an den Rand heran. Ein Bewegungsmuster, mit dem ich mich vollkommen identifizieren konnte.»Pass auf, die Sache mit Droyd ist die É Auch Õn Bier?«

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 01.05.2006