29.04.2006
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»Danke. Also dann, gute Nacht.«
»Nacht, Charlie.«
An den meisten Abenden gingen Frank und seine Kumpels einen trinken, und am nächsten Tag ergötzte er mich dann mit Geschichten über ihre Heldentaten - wie irgendein Kerl namens »Ste« von irgendeinem anderen Kerl namens »Mick the Bollocks« irgendein Zeug namens »Speed« kauft und sich dann, als er den Scheiß inhaliert, rausstellt, dass das gar nicht »Speed« ist, sondern irgendwas, mit dem man Ameisen platt macht, und dass Ste dann anfängt zu randalieren und versucht, die Teller zu fressen und sich die Augäpfel rauszupulen. »Komm doch mal mit, Charlie«, sagte Frank gelegentlich. »Lustige Burschen, da gehtÕs voll ab.«
»Danke, nett von dir«, sagte ich dann. Die Geschichten allein reichten aus, dass mir ganz anders wurde.
Damals war ich wohl zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, um mich zu fragen, was Frank sich eigentlich davon erhoffte, mich bei ihm wohnen zu lassen. Ich wusste nicht, wie es um ihn und Bel stand. Was immer auch geschehen war, er sprach jedenfalls nie von ihr. Aber manchmal ertappte ich ihn, wie er mich mit sonderbar sehnsüchtigem Blick anschaute, als erwartete er von mir, dass ich sie vor seinen Augen aus dem Hut zauberte. Und dann fragte ich mich schaudernd, ob er vielleicht beabsichtigte, mich für seine Rache an ihr einzuspannen oder als eine Art Liebesgeisel zu nehmen.
Im Großen und Ganzen jedoch kam und ging er, ohne mich weiter zu stören; ich konnte unbehelligt dasitzen und in den Fernseher schauen. Derart von der Welt im Stich gelassen, hatte ich beschlossen, dass dies der optimale Zeitpunkt sei, das Projekt Gene Tierney zu vollenden, oder, wenn man unbedingt Haare spalten wollte, das Projekt Gene Tierney in Angriff zu nehmen. Jeden Nachmittag nach dem Frühstück, wenn Frank bei der Arbeit war, schloss ich die Vorhänge (eine Formalie, sicher, da es in der Wohnung sowieso immer dunkel war), setzte mich mit einem Notizblock und einem Glas von dem schauerlichen Riesling in den Sessel und schaute mir ein Video an. Ich fing ganz von vorn an, mit The Return of Frank James - einer diabolischen Performance, für die ihr der Harvard Lampoon das Prädikat »Schlechtester weiblicher Newcomer des Jahres 1940« verlieh und mehr als ein Kritiker sie uncharmanterweise mit Minnie Mouse verglich. Für mich in meinem jammervollen Zustand waren ihre Filme jedoch wie Botschaften aus freundlicheren, höheren Sphären - Lichtsignale eines weit entfernten Leuchtturms an ein bei Flaute dümpelndes, im Nebel gefangenes Schiff. Ich brauchte die Filme, wie unter Zwang schaute ich sie mir an und war schon bald im Jahre 1946 bei The RazorÕs Edge angekommen.
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Sie folgt ihm nach Frankreich, wo dann später im Film die berühmte Szene spielt, in der sie ihn mit in ihre Wohnung nimmt und einen letzten Versuch startet, ihn in die Welt des Merkantilismus hinüberzuziehen. Dabei trägt sie ein bemerkenswertes schwarzes Kleid, das der unheilvollen Scheide eines Dolches ähnelt. Dem Kleid, das der brillante Exilrusse und Tierneys Ehemann seit 1941, Oleg Cassini, entworfen hatte, konnte selbst ein Heiliger wie unser Expilot nicht widerstehen - zumindest für die Dauer eines Kusses.
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Seit ich hier war, hatte niemand aus Amaurot auch nur angerufen, nicht mal Mirela, trotz der verheißungsvollen Unterhaltung im Ballsaal damals. Feuer frei! hatte am selben Abend, als man mich des Radissons verwiesen hatte, in einem kleinen Theater hinter dem Bahnhof an der Tara Street eröffnet. In der Zeitung, die ich in der Hotellobby hatte mitgehen lassen, hatte eine kurze Rezension gestanden, nicht rasend vor Begeisterung, aber doch beifällig das »unerschrockene erste Auftreten« der Amaurot Players lobend. So von allem abgeschnitten, wie ich war, hätte das auf einem anderen Stern stattfinden können. So viel zu ihrer Dankbarkeit, dachte ich traurig. Jetzt war ich nicht mehr der Gutsherr, jetzt war ich obdachlos, so wie sie es gewesen war. Alles schien vergessen zu sein.
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Mein erster Gedanke war, dass jemand versuchte, das Haus abzureißen. Das war schon passiert, hatte Frank erzählt. Als die Stadtplaner aus einem Haus, das sie abreißen wollten, einen Mieter nicht vertreiben konnten, rauschte mitten in der Nacht zufällig-absichtlich ein Lastwagen in die Hauswand. Ich rieb mir die Augen und zog den Morgenmantel an, um draußen Bescheid zu geben, dass sie das falsche Haus erwischt hätten. Aber als ich das Wohnzimmer betrat, wurde mir klar, dass der Lärm von genau da kam. Oben auf dem Fernseher stand ein gigantischer Ghettoblaster, und daneben wackelte im Takt zu dem Lärm etwas mit dem Kopf, das aussah wie ein riesiges glänzendes Frettchen, das gelernt hatte, auf zwei Beinen zu gehen. Das war zumindest der Eindruck, den ich in dem Bruchteil der Sekunde gewann, bevor sich das Frettchen auf mich stürzte. Dann fand ich mich zu meiner grenzenlosen Überraschung auf dem Boden wieder und wurde gewürgt.
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Artikel vom 29.04.2006