28.04.2006
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Apt C bestand fast völlig aus Ecken. Als hätte der Bauherr aus allen Nischen und Vertiefungen, die am Ende übrig geblieben waren, noch eine Extrawohnung zusammengeschustert. Die Zimmer schwankten irgendwie, was im Bauwesen eher unüblich war. An bestimmte Wände konnte man sich nicht anlehnen, weil - Zitat Frank - »die die Decke oben halten«. Sogar das Tageslicht hatte seine Mühe, sich in den Extravaganzen der Wohnung zurechtzufinden: Es fiel durchs Fenster und hielt dann abrupt, sozusagen mit einem Finger auf den Lippen, inne. Folglich war es immer ziemlich dunkel - oder dumpfig, ja, dumpfig war das bessere Wort. Es war die bei weitem dumpfigste Wohnung, in der ich je gewesen war.
I
Er dachte kurz nach. »Was die Leute nicht kaufen, ist Müll«, sagte er.
»Oh«, sagte ich.
D
»Wenn die so scharf auf die alten Zeiten sind, warum hören sie dann nicht einfach auf, die alten Häuser abzureißen?«, fragte ich.
»Weil wir dann alle keinen Job mehr haben.«
So wie er in Haufen durcheinander dalag, schien der Schrott eine Art generischer Identität angenommen zu haben - sie erfüllte den Raum mit etwas Abgestandenem, Melancholischem, Vergangenem, wie der Duft eines alten Parfüms. Tagsüber, wenn Frank außer Haus war, hatte ich ein klein wenig das Gefühl, selbst ein Relikt zu sein. Ich hatte nichts zu tun, außer mit den Troddeln meines Morgenmantels herumzuspielen - was an sich nicht sonderlich ungewöhnlich klingen mag, aber es war eine andere Art des Nichts, es war ein nervöses, ruheloses, unbefriedigendes Nichts. Abgesehen von kurzen Ausflügen zur Tankstelle, wo man zu Fantasiepreisen das Notwendigste kaufen konnte, verließ ich die Wohnung kaum. Meistens saß ich am Fenster und schaute hinaus auf das grausige Elendsviertel.
D
Die zweite Gruppe, die nur wenig Kontakt mit der ersten hatte, war die der Ausländer. Diese traten in allen Formen und Größen auf und waren, so erzählte es mir wenigstens Frank, quasi über Nacht hier aufgetaucht. Niemand schien zu wissen, woher sie kamen und wie genau sie hier gelandet waren. »Vielleicht ist ja dieses Theater da unten in Bosnien schuld daran«, mutmaßte ich. »Wie bei Mrs P und ihrer Familie.«
»Oder woanders«, sagte Frank achselzuckend. »An Kriegen gibtÕs immer Nachschub.«
Keiner von ihnen schien Arbeit zu haben, was mich auf die Idee brachte, das zu unseren Gunsten auszunutzen und vielleicht einen von ihnen dazu zu bewegen, gegen ein relativ geringes Entgelt unsere Wohnung zu putzen. Frank zerstörte meine Hoffnungen jedoch umgehend. »Meine alte Dame war Putzfrau, Charlie«, sagte er. »Da hätt ich Õn komisches Gefühl dabei.«
Bei Nacht übernahm die ansässige Jugend den Straßenzug. Von denen, die kein Interesse daran hatten, die ältere Bevölkerung auszuplündern oder zu terrorisieren, erwartete man, dass sie sich ins Haus zurückzogen oder die Folgen trugen. Die Jugendlichen vergnügten sich auf vielfältige Weise. Manchmal zündeten sie Sachen an oder sprühten Hakenkreuze auf die Wohnungstüren von Asylbewerbern; gelegentlich tauchte auch einer von ihnen in einem gestohlenen Wagen auf und sorgte für ein paar fröhliche Stunden, in denen man die Straße rauf und runter donnerte. Meistens jedoch standen sie einfach in bedrohlichen Gruppen an Straßenecken herum und verkauften sich gegenseitig Heroin. Die Gebäude vibrierten von dem ewigen Gekreische. Immer fing irgendwo ein Baby an zu plärren, und durch die Wände konnte ich mir die Streitereien unserer Nachbarn anhören. Mehrmals hörte ich Schüsse, die aus der Richtung des Coachman kamen. Frank erzählte, dass Männer hier aus der Straße sich ihre Schrotflinten geschnappt, Sturmhauben übergezogen und den Laden ausgeraubt hatten, um dann am nächsten Tag wieder reinzumarschieren und mit der Beute ihre Drinks zu bezahlen.
Manchmal, wenn ich am Fenster vor mich hindöste, sah ich, dass ein Augenpaar aus dem gegenüberliegenden Wohnblock mich anschaute, und dann dachte ich an Mirela, wie sie mir engelsgleich aus dem Turm in Amaurot zugewinkt hatte. Oder ich sah die mondgesichtigen Kinder mit ihrem Einkaufswagen; das eine schob immer, das andere stand immer im Korb, hielt sich mit seinen kleinen Fingern am Gitterrand fest und schaute zur Seite. Sie rumpelten vorbei wie verdreckte Pilger, die ihre Mission und ihr Ziel vergessen hatten und nun endlose Runden in den immer gleichen Sackgassen drehten.
D
»Hey, Charlie, weißt du eigentlich, wie Blondinen Vögel killen?«
»Komm grad nicht drauf, mein Alter.«
»Sie schmeißen sie vom Balkon.«
»Ha, ha, gut, sehr gut. Ich glaube, ich hau mich jetzt hin.«
»Es ist erst acht, Charlie.«
»Hab morgen einen schweren Tag«, sagte ich und erhob mich ächzend aus dem Sofa.
»Schweren Tag?«
»Na ja, nicht wirklich schwer, ich meine, ich dachte É vielleicht schaue ich mir den einen oder anderen Film an É Da fällt mir ein, könntest du mir vielleicht noch mal mit fünfzig Pfund aushelfen, alter Junge? Wir brauchen anständigen Wein. Wenn ich weiter diesen erbärmlichen Riesling trinken muss, krieg ich ein Magengeschwür.«
Artikel vom 28.04.2006