29.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Bauer Yang dachte an Erdgeister
Chinas großartige Terrakotta-Armee: Schätze aus der Nekropole von XiÕan sind derzeit in Bonn zu sehen
Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn zeigt bis 23. Juli Schätze aus XiÕan. »Kaiserliche Macht im Jenseits« präsentiert neueste archäologische Funde aus der über 180 Kilometer langen Gräberlandschaft um die Stadt XiÕan, die durch 13 Dynastien hindurch die Hauptstadt Chinas war und somit die Wiege der chinesischen Kultur darstellt.
Die meisten dieser faszinierenden Ausstellungsstücke wurden im Rahmen deutsch-chinesischer Forschungsprojekte bearbeitet. Die Bundeskunsthalle zeigt diese Schau anlässlich der bereits seitmehr als 15 Jahren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung großzügig geförderten Kooperation zwischen Deutschland und China im Bereich des Kulturgüterschutzes. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit konnte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege München gemeinsam mit chinesischen Forschungsstellen ein Verfahren zur Erhaltung der Farbfassung von lebensgroßen Tonfiguren in der Grabanlage des ersten Kaisers Qin Shi Huangdi entwickeln. Das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz hat neben vielen anderen die Metallgegenstände aus dem Schatz des Famen-Tempels, einer der bedeutendsten Entdeckungen der Nachkriegszeit aus der Tang-Dynastie (618-907), restauriert.
Konfuzius war schon tot, seine Lehre indes noch nicht aufgeblüht, als die Menschen im Gebiet der heutigen Volksrepublik China unter den Auseinandersetzungen der »Streitenden Reiche« litten. Zugleich erblühten aber Feudalismus und Philosophen-Schulen. Es war in dieser bewegten Epoche, als Fürst Zheng von Qin das Reich einte und sich zu dessen erstem Kaiser ernannte. Vor ihm gab es nur mythische Kaiser, beispielsweise Fuxi, dessen Schwester Nüwa zugleich seine Ehefrau war und den Menschen erschuf.
Zu den »Drei Erhabenen« gehörte auch Shennong, Erfinder des Ackerbaus und der Märkte. Das alles soll sich chinesischer Mythologie zufolge um etwa 2800 vor Christus abgespielt haben. Etwa 2600 vor Christus nennt die Geschichtsschreibung Huangdi, den »Gelben Kaiser«, der als Urvater der chinesischen Zivilisation gilt. Es sollte also 2400 Jahre dauern, bis erstmals wieder ein Kaiser den Thron Chinas bestieg. Und er nannte sich als Regent kühn Qin Shi Huangdi.
Zheng muss sehr von sich und seiner späteren Bedeutung überzeugt gewesen sein, denn lange vor der Gründung seines Kaiserreichs begann er bereits mit dem Bau einer riesigen Nekropole. Etwa ein Zehntel seiner Untertanen wurde zu Zwangsarbeit verpflichtet, um eine über- und unterirdische Welt aus Flüssen, Seen und Palastmodellen zu schaffen, bewacht von einer tönernen Armee. Die komplette Grabanlage soll riesigen Umfang haben, Experten tippen auf die doppelte Größe der heutigen, etwa fünf Millionen Einwohner umfassenden Stadt XiÕan, die mehr als 30 Kilometer entfernt liegt.
Es war im Jahr 1974, als der Bauer Yang Shi Fa beim Bau einer Brunnenanlage auf einen Kopf der Terrakotta-Armee stieß - und zunächst einmal einen heillosen Schrecken bekam. Dachte er doch, Erdgeister gestört zu haben, doch machte er damit Archäologen so den Weg zu einem sensationellen Fund frei.
Entdeckt wurde ein phantastisches Panoptikum der chinesischen Geschichte, die in großartigen Museen, bedeutenden Grabanlagen, Palastruinen und -rekonstruktionen sowie verschiedenen architektonischen Zeugnissen einen umfassenden Eindruck von der Entwicklung des Reichs der Mitte geben. Die Anlage muss nach dem schnellen Ende der Qin-Regentschaft (221-210 v.Chr.) noch ergänzt worden sein.
Das berühmteste der Grabmäler ist aber jenes von Qin Shi Huangdi, zu dem die in einiger Entfernung stehende Terrakotta-Streitmacht gehört. Mehr als 7000 mannshohe Krieger- und Pferdefiguren, von denen die besten ausgestellt werden, vermitteln die Macht des ersten Reichseinigers, die er über seinen Tod hinaus zu erhalten suchte.
Besucht man heute diese Anlage, so erlebt man eine perfekt inszenierte Ausgrabungsstätte. Drei Grabungsfelder wurden überdacht. So können Besucher von hohen Galerien aus die riesigen Dimensionen erfassen, sind aber dennoch nahe genug an den Statuen, um zu erkennnen, dass jede einem menschlichen Vorbild nachgebildet wurde. Da stehen Generäle, knieen Soldaten, scheinen Pferde vor einen imaginären Wagen gespannt. Da die Wagen nicht aus gebrannter Erde bestanden, sondern aus Holz, sind sie im Lauf der Jahrtausende vermodert. So steht hinter jedem Pferd ein Wagenlenker und scheint die Zügel in der Hand zu halten.
Die Anlage bietet verhältnismäßig wenig Erklärungen, es lohnt sich, sie mit einem Führer zu besuchen. So schickt der Reiseveranstalter Studiosus beispielsweise seine Gruppen unter kundiger Führung von Sinologen nach China, um dort die Terrakotta-Armee, aber auch die bei XiÕan gefundenen bronzenen Streitwagen zu erleben. Im Souvenirgeschäft der weitläufigen Museumsanlage kann man ein gutes deutschsprachiges Buch erstehen.
Häufig sitzt Yang Shi Fa in einer Ecke hinter dem Verkaufstresen und signiert die Bücher. Eine Schule hat der Bauer zeit seines Lebens nie besucht, aber er beherrscht mittlerweile ein wenig die chinesische Kurzschrift. Für Meister Yang, wie er ehrfürchtig genannt wird, hat sich der Fund finanziell nicht gelohnt - eigentlich im Gegenteil. Ihm wurde das Land, welches er beackerte, entzogen. Immerhin wohnt er heute mit seiner Familie in einem schönen großen Haus und lässt den Rummel um seine Person mit sanfter Gelassenheit über sich ergehen. Einmal durfte er nach Japan reisen, um dort im Fernsehen aufzutreten. Und Bill Clinton schüttelte ihm die Hand, als er einen Staatsbesuch in China machte.
XiÕan hat von der Entdeckung der Terrakotta-Armee zweifelsfrei profitiert. Allerdings hat der Boom wie jede Medaille zwei Seiten: Eigentlich müsste man in der Stadt eine U-Bahn bauen. Doch man traut sich nicht, in den Erdboden zu graben, zu groß ist das Risiko, wertvolle historische Relikte zu finden. Dann müsste das Bauprojekt auf Eis gelegt werden, würden Wissenschaftler statt Ingenieuren das Kommando übernehmen.
Die ungeheuren Schätze, die unter der Erde schlummern, sollen strukturiert entdeckt werden. Grabungen im Qin-Grabhügel sind etwa für das Jahr 2200 geplant! Die Tourismusindustrie freilich ist schneller. Schon hat man am Rande des Gräberfeldes eine riesige Qin-Statue errichtet. Und einen Vergnügungspark der »acht Weltwunder«: Da wacht die Sphinx nicht nur über Terrakotta-Krieger, sondern auch über eine Kopie der Cheopspyramide... Thomas Albertsen

Artikel vom 29.04.2006