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Im Schmelz der ersten Jugend

Osterzeit vor 50 Jahren - eine Idylle: Was 1956 die Bielefelder umtrieb

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Ein laues Lüftlein durchwehte die Stadt, in den Vorgärten harrten buntbemalte Eier ihrer Entdeckung, Mütter legten Bürste und Kamm bereit, um ihre Rangen zwecks Kirchgangs zwangszuscheiteln - da löste Bielefelder Kaufmannsgeist ein Erdbeben im kulturbeflissenen Hamburg aus. Ach ja, Osterzeit vor 50 Jahren.

Unerhört, wetterte ein Senator der s-tolzen und s-teifen Hanse-s-tadt, »ausgerechnet Bielefeld« engagiert uns hier die besten Sänger weg.
Er sagte wirklich »ausgerechnet Bielefeld«.
Einem Startenor, der an der Elbe für schlappe 800 D-Mark Abendgage »La donna è mobile« schmettern musste, hätten die Leineweber von der Lutter 1800 Mark geboten. O wie so trügerisch sind Künstlerherzen, rief zornesrot der Pfeffersack von der Waterkant. Darauf warf der Chefdirigent der Hamburgischen Staatsoper dem Herrn Senator Unfeines an den Kopf und dann die Brocken hin.
Der Kulturredakteur des WESTFALEN-BLATTS, tief getroffen wegen »ausgerechnet Bielefeld«, recherchierte. Und fand heraus, dass die besagten 1800 Mark an einen gewissen Rudolf Schock gegangen waren. Aber nicht für jeden Abend »Rigoletto«, sondern bloß für einmal Oetkerhalle. Anneliese Rothenberger hingegen (300 Mark, Hamburg) war tatsächlich zu Ostern 1956 wegengagiert worden: 800 Mark, ausgerechnet Düsseldorf.
Ich sehe, wir sind ins Plaudern geraten - Frühling lässt sein blaues Band, undsoweiter, Sie wissen schon. Womit wir bei Brigitte Adam wären, die ziemlich genau vor 50 Jahren »im Schmelz erster Jugend« (Zeitungsjargon) über den Laufsteg des »Trocadero« stöckelte und sich die Schärpe der »Miss Bielefeld« an den, nun ja, Busen heften durfte.
Während Bielefelds Katholiken noch fasteten, ging regelmäßig Ende März (Ostern wurde 1956 am 1. April gefeiert) im Etablissement »Trocadero«, dort, wo die Notpfortenstraße in den Oberntorwall mündet, die Post ab. Veranstalter waren die Opal-Werke, in denen man feine Strümpfe wirkte. Die darin steckenden Damen, von denen der Reporter schwärmte, sie seien keine »Berufsschönheiten«, sondern »frische, bodenständige Mädels«, traten »bunt wie exotische Orchideen« vor Publikum und Jury, aber auch »in haute-couture-veredelten Trachten der deutschen Gaue.« Und 1956 hatte Brigitte Adam die, nun ja, Nase vorn, und die Augen gingen ihr über, als sie, auf dem etwas wackeligen »Opal-Thron« sitzend, ein Radio, eine »Quickly« (ein Moped?), einen Teddy und einen Kosmetikkoffer geschenkt bekam.
Und Brigittes Chefin, ebenfalls im Saal, diktierte unserem Reporter in den Block: »Sie ist ein so braves Mädchen!«
Ziemlich genau zur selben Zeit bezog ein anderer WESTFALEN-BLATT-Redakteur um ein Haar Prügel, und das nur, weil er überall herumfragte, ob die Bielefelderinnen denn von ihren Ehemännern ein hübsches Taschengeld bezögen. »Watt sün Se denn för een Spitzel? Se hebben woll lang keen Jackvull hatt?«, pfiff, kaum hatte er die indiskrete Frage vernommen, ein vierschrötiger Kerl im Wartesaal am Hauptbahnhof unseren Journalisten an.
Schweißgebadet näherte dieser sich sodann einer Mittdreißigerin (geschätzt), die im Geschäft ihres Mannes arbeitete und nach eigenem Bekunden zum »ehelichen Finanzminister« aufstieg, als der Chef merkte, dass sie mit Geld umgehen konnte. Die Frau eines Assistenzarztes steckte die fünf Mark, die ihr bewilligt wurden, ins Sparschwein - und wenn sie genügend Silberlinge zusammen hatte, kochte sie ihrem spendablen Mediziner ein mehrgängiges Menü und entkorkte eine gute Flasche Wein.
Zum Schluss trifft der Reporter ein frischverlobtes Pärchen im Café. Sagt die Holde: »Ich brauche kein Taschengeld, ich bin auch so glücklich.« Eine Idylle.
Schnüff. So schön war Ostern vor 50 Jahren. Ich weiß ja nicht, was Sie machen, aber ich für mein Teil leg jetzt eine Anneliese-Rothenbaumchaussee-LP auf.

Artikel vom 14.04.2006