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Vom Umgang
mit einem
»Schandfleck«

Studie zur Rezeption eines Lagers

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Deutschlands älteste Gedenkstätten-Initiative ist auch eine einmalige: Im 1967 gegründeten »Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock« arbeiten - neben anderen Parteiungen - Christen mit Kommunisten zusammen.

Eine für den Verfassungsschutz hochinteressante Kombination, wie Carsten Seichter herausfand. Mit einigen schwer zu erlangenden Sondererlaubnissen ausgestattet, hat der Bielefelder Historiker geheime Akten einsehen dürfen, die von der Überwachung des Arbeitskreises (AK) Zeugnis ablegen. Denn das »Stalag 326«, in dem von 1941 bis 1945 osteuropäische Kriegsgefangene, zumeist Rotarmisten, malträtiert wurden, galt lange als Tabu-Thema.
Seichter referiert in seiner jetzt veröffentlichten Magisterarbeit zwar auch die Geschichte des am 2. April 1945 befreiten Lagers, doch seine originäre Leistung besteht in der Analyse der Rezeption im Deutschland der Nachkriegszeit mit dem Lager. Dafür hat Seichter zumeist unerschlossene Quellen herangezogen, »bei deren Lektüre, soweit es um die Geheimdossiers ging, ich mich gelegentlich in einen schlechten Spionageroman versetzt fühlte.«
So weiß der 41-Jährige von einem im AK tätigen Pfarrer zu berichten, der in den ideologisch aufgeheizten 70ern in Detmold einen Info-Stand beantragte. »Dieser banale Vorgang wurde an BKA und LKA gemeldet, an den NRW-Innenminister, an alle Regierungspräsidenten und an die für politische Straftaten zuständigen 14. Kriminalkommissariate.«
Noch heute werde der AK observiert, meint Seichter, der in Schloss Holte-Stukenbrock für die Grünen im Rat saß. Gerade am Antikriegstag (1. September), auf dem Friedhof in der Nähe des Lagers als Mahnung und Gedenken begangen, sollen hier die Schlapphüte anzutreffen sein - jetzt aber wohl eher wegen befürchteter Neonazi-Aktivitäten, vermutet Seichter.
Es dauerte lange, bis der »Schandfleck« vor den Toren der ländlichen Gemeinde als historisches Faktum akzeptiert wurde. »In vielem folgt die Beschäftigung mit dem ÝStalag 326Ü den bundesweit zu beobachtenden Mechanismen im Umgang mit NS-Geschichte: Verdrängung, zögernde Annäherung, Rückschläge und schließlich Öffnung gegenüber dem Ort oder dem Ereignis«, bilanziert Seichter.
Immerhin sei die 1996 eröffnete benachbarte Dokumentationsstätte auf Betreiben der Gemeinde entstanden. Nicht eben alltäglich ist auch der Umstand, dass sich Weltkriegsteilnehmer in der Gedenkarbeit engagieren.
Carsten Seichter: »Nach der Befreiung«; PapyRossa-Verlag Köln, 122 Seiten, 13 Euro; ISBN-Nr. 3-89438-351-8.

Artikel vom 20.04.2006