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Das Wort zu Ostern

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


Eigentlich ist Karfreitag kein Fest. Der Tod kann keinen Anlass für ein Fest bieten. Der Tod Jesu am Kreuz hat damals keinen Jubel ausgelöst, er löst ihn auch heute nicht aus. Ein Fest, ja das Fest aller Feste, ist Ostern. Das Leben kann gefeiert werden.
Das Christentum ist eine Religion des Lebens! An seiner Wurzel stand eine Erfahrung von Leben, die bis dahin gänzlich unbekannt war. Das Christentum besteht nicht aus seinen Kirchen, das Christentum besteht nicht aus moralischen WertvorstellungenÉ das Christentum hat an seiner Wurzel eine Erfahrung von Leben: Leben über den Tod hinaus. Erst wenige Personen und dann am Schluss möglicherweise sogar mehrere Tausend erlebten damals mit eigenen Sinnen, dass dieser Jesus »wieder lebt«, den sie vorher mit den gleichen eigenen Augen sterben sahen. Dazwischen liegt das, was man Auferweckung oder Auferstehung nennt.
Wenn Sie als Leserinnen und Leser Christen sind, oder das Christentum kennen lernen wollen, dann hilft es Ihnen, sich diese eigentliche Wurzelerfahrung des christlichen Glaubens einmal ohne ihre Ausschmückungen vor Augen zu führen. Ohne die Auferstehung Jesu gäbe es keine Kirche. Die begeisternde Erfahrung von Leben über den Tod hinaus war der Anfang. Und zusammengehalten werden alle Christen von der gemeinsamen Hoffnung, einmal selbst in dieses Leben einzugehen.
Leben ist größer! Leben ist nicht nur geboren Werden, Heranwachsen, Kräfte und Fähigkeiten Entwickeln - um dann nach einigen Jahren bei den gleichen Kräften wieder abzunehmen, zunehmend Gebrechen zu verspüren und irgendwann zu sterben. Leben war vor mir: es gibt meinen Schöpfer, der mich ins Leben rief, ich bin von ihm gewollt. Und Leben ist nach meinem Tod: Gott kann mich aus dem Tod rufen in ein noch größeres Leben. Das Osterfest »platzt« fast vor Lebensfreude. Dieses Leben ist unbeschreiblich schön - im wahren Sinne: es lässt sich nicht mit menschlichen Worten fassen.
Und trotzdem gehört der so genannte Karfreitag (von der altdeutschen Silbe »kar«: klagen, trauern, sorgen; vgl. engl. »to care«) zur Erfahrung dieses Lebens hinzu. Denn dieses Leben über den Tod hinaus ist und bleibt ein Geschenk Gottes. Es ist keine notwendige Weiterentwicklung, Verlängerung meines Lebens. Es ist der Durchbruch Gottes durch alles menschliche Sterben und Leiden, alle Traurigkeit und Sorgen hindurch. Der Todestag Jesu wird Kar-Freitag genannt, weil an ihm all das Beklagenswerte der innerweltlichen Grenzen, Brutalitäten und Ungerechtigkeiten noch einmal auf die Spitze getrieben wurde: Einer, der nur aus der Liebe lebte, der heilte. . . wird dennoch schmählich umgebracht.
Jesus war die Anwesenheit Gottes unter uns, wie sie nie größer gewesen war oder je sein wird. Gott selbst zeigte uns, dass wir nicht mit aller Macht in dieser Welt gewinnen müssen - und dabei doch so viel anderes um uns herum zerstören.
Dies war schon die Anfangsversuchung seit dem Paradies gewesen: Angst, etwas zu verpassen! Die Schöpfungsgeschichte erzählt davon. Aus Angst, nicht genug zu haben, zu sein, zu erlebenÉ zerstören Menschen so viel und letztlich ihre eigene innere Schönheit. Dies hat Jesus durchbrochen am Kreuz.
Das Kreuz von Karfreitag wird deshalb in der christlichen Bildersprache mit dem Baum der Versuchung im Paradies in Verbindung gebracht. Dieser lebendige Baum, der durch die ängstliche Verkrümmung des Menschen und die innere Loslösung von Gott abstarb, wird in der Auferstehung wieder neu zum Blühen gebracht.
Und genau deshalb ist Karfreitag doch so etwas wie ein Fest. Es ist ein Fest, das seinen eigentlichen Glanz von Ostern erhält. Karfreitag ist die Einladung, durch ein geöffnetes Tor zu gehen. Das Leben aus Gott, mit Gott und bei Gott ist unendlich groß - groß genug, um dafür zu sterben. Jesus durchbrach als erster die innere Verriegelung des Menschen vor dem Leben Gottes. Aber mit ihm können wir es finden und dieses Geschenkes Gottes teilhaftig werden.

Artikel vom 14.04.2006