13.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Der Mensch und die Existenz

Irischer Dramatiker Samuel Beckett wäre heute 100 Jahre alt geworden

Von Wolfgang Harms
Hamburg (dpa). Seine Figuren irren in kahlen Kulissen umher, wohnen in Mülltonnen, verfangen sich in den Erinnerungen an bessere Tage - wie kein anderer Autor hat der irische Nobelpreisträger Samuel Beckett die Verlorenheit des modernen Menschen und die Absurdität seiner Existenz auf die Bühne gebracht. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.
Der Dramatiker Samuel Beckett (re. Mi.), häufiger Gast in Deutschland, bei den Dreharbeiten zum Film »He Joe«, der im Jahre 1966 entstanden ist. An der Kamera sitzt Jim Lewis.Fotos: SWR
Samuel Beckett 1982 bei Dreharbeiten von »Nacht und Träume«.

Mit seinem berühmtesten Werk »Warten auf Godot« wurde Samuel Beckett einer der einflussreichsten Dramatiker nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch der Ahne des literarischen Pessimismus hatte auch andere Seiten: Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete der Wahl-Pariser im französischen Widerstand.
Aufgewachsen in einem Dubliner Vorort, war der Sohn einer begüterten protestantischen Unternehmerfamilie im katholischen Irland ein Außenseiter. Als Französisch- und Literaturstudent fiel er vor allem durch sportlichen Ehrgeiz auf - wegen seiner Werfer-Qualitäten im Universitäts-Team ist der Linkshänder noch heute in den Cricket-Annalen verzeichnet. Früh zog es ihn ins Ausland: 1928 ging Beckett als Englisch-Lektor nach Paris und gehörte bald zum Kreis um den Romancier James Joyce, den zweiten großen Exilanten der irischen Literatur.
In jenen Jahren besucht Beckett mehrmals eine Tante in Kassel, deren Mann dort mit Kunst und Antiquitäten handelt. Beckett verliebt sich in seine Kusine Peggy Sinclair, doch die Heiratspläne zerschlagen sich. Immerhin lernt der angehende Schriftsteller so viel Deutsch, dass er viele Jahre später seine eigenen Stücke in Berlin mit deutschen Schauspielern einstudieren kann.
Doch bis dahin sollte es noch dauern. Beckett veröffentlicht zunächst Prosa, findet aber kaum Leser. 1937 lässt er sich endgültig in Paris nieder. Seine Deutschlandreisen haben ihn mit Abscheu vor dem Nationalsozialismus erfüllt; nun unterstützt er nach dem Einmarsch der Wehrmacht die Résistance als Kurier und schreibt seinen Roman »Watt« - ein schwieriges Werk über Macht und Herrschaft, in dem traditionelle Elemente der Erzählliteratur wie Handlung und Held nur noch rudimentär vorkommen.
Nach »Watt« siedelt Beckett auch sprachlich über. Das Stück, das ihm den Durchbruch bringt, schreibt er auf Französisch: »Warten auf Godot« wird - zuvor von zahlreichen Verlagen abgelehnt - 1953 in einem kleinen Pariser Theater uraufgeführt und schafft es rasch auf die großen Bühnen. Die Tragikomödie um die Vagabunden Wladimir und Estragon, die ihre Zeit in der Erwartung der nie erscheinenden Titelfigur vertun, bereitet den Weg für weitere Erfolge wie »Endspiel« (1957), »Das letzte Band« (1959) und »Glückliche Tage« (1960). Bald ist Beckett auch als Regisseur und als Hörspiel-Autor gefragt. 1969 erhält er den Literatur-Nobelpreis.
Becketts Werk spiegelt die Erfahrungen einer Generation, die Weltkriege, Völkermord und die erste Atombombe erlebt hat. Seine Kammerspiele zeigen den Menschen, der allein ist mit der verrinnenden Zeit. Kein Jenseits entschädigt ihn für eine Existenz, die mit Schmerz beginnt, von Hässlichkeit und Enttäuschung erfüllt ist und unaufhaltsam dem Tod entgegengeht. Doch Verzweiflung mischt sich mit Komik. Die tiefe Hoffnungslosigkeit überspielen Becketts Figuren mit Ritualen und Possen - das gibt ihnen etwas Clownhaftes. In seinen späteren Stücken reduzierte Beckett seine Darstellungsmittel immer mehr. »Atem« (1969) kommt ganz ohne Schauspieler und Sprache aus.
Eine Deutung seiner Werke hat Beckett stets abgelehnt: »Es gibt keine Aussage«, sagte er in einem Interview. Der Prophet einer düsteren und gottlosen Welt besaß allerdings Bibeln in mehreren Sprachen und las oft in ihnen. Freunde schildern ihn als hochgebildet, liebenswürdig, hilfsbereit und fürsorglich.
Bis ins hohe Alter bleibt Beckett produktiv. Neben Schauspielen schreibt er Gedichte, Romane und Novellen und arbeitet für das Fernsehen. Beckett stirbt am 22. Dezember 1989 - wenige Monate nach seiner Frau Suzanne, mit der er vier Jahrzehnte zusammen war und neben der er auf dem Pariser Friedhof Montparnasse begraben wurde. Noch auf dem Totenbett soll er Gedichte rezitiert haben.

Artikel vom 13.04.2006