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»Werbung verführt Jugend«

Suchtexperten und EU mahnen Regierung: Plakate mit Zigaretten stoppen

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Weil sie das Werbeverbot der EU-Kommission für Tabak nicht umsetzt, leistet die Bundesregierung Gesundheitsschäden bei Jugendlichen Vorschub. Das hat gestern der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Rolf Hüllinghorst aus Bielefeld, kritisiert.
Jugendliche lassen sich von Zigaretten-Werbung besonders stark beeinflussen. Foto: dpa
»Kinder und Jugendliche sind für Werbung besonders empfänglich und bleiben der Marke, die sie zuerst probiert haben, meist treu«, sagte Hüllinghorst dieser Zeitung. Die warnenden Hinweise auf Zigarettenschachteln würden durch großformatige Plakate abgeschwächt, auf denen Rauchen als Ausdruck von Genuss und Freiheit erscheine. Durchschnittlich mit 13 Jahren zünden sich Jungen und Mädchen die erste Zigarette an. Die Zahl der Raucher wird auf 16,7 Millionen geschätzt. »6,8 Millionen von ihnen sind abhängig«, sagte Hüllinghorst.
Die DHS begrüßte die Ankündigung der EU-Kommission, Deutschland notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu verklagen, wenn die Regierung nicht unverzüglich das Tabak-Werbeverbot in nationales Recht umsetzt. Deutschland habe die bis Anfang April gesetzte Frist verstreichen lassen, monierte Gesundheitskommissar Markos Kyprianou in der »Berliner Zeitung«. Das Werbeverbot gilt seit 2005, Deutschland hatte bereits im Vorfeld, 2003, dagegen Klage eingereicht. Die EU solle nicht vorschreiben, welche Werbung gedruckt werde und welche nicht, erklärte gestern eine Sprecherin des Bundesverbraucherministeriums.
Suchtexperte Hüllinghorst beklagte den »starken Druck der Tabakindustrie«: »Mit Ausnahme von Deutschland und Luxemburg ist das Werbeverbot in allen Ländern der Europäischen Union in geltendes Recht übertragen worden.« Der DHS-Geschäftsführer forderte Änderungen am Lebensmittelgesetz: »Obwohl gesundheitsschädlich wird Tabak bei uns dummerweise als Lebensmittel eingestuft.« 140 000 Deutsche stürben jedes Jahr an den Folgen von Nikotin.
Indem die Bundesregierung an der Werbung für Zigaretten und Zigarren festhalte, ignoriere sie den Wunsch der Bevölkerung nach mehr Schutz für Nichtraucher. Auf immer mehr Bahnhöfen und in immer mehr Gaststätten müssten die Glimmstengel in der Schachtel bleiben, aber gleichzeitig blockiere die Regierung das Werbeverbot, beklagte Hüllinghorst: »Dabei müsste die Politik den Bewusstseinswandel in der Bevölkerung unterstützen.« Überzeugte Quarzer schrecke das Werbeverbot nicht ab, aber es könne hilfreich für die »40 Prozent der Raucher sein, die immer mal wieder über den Ausstieg nachdenken«.
Inzwischen wirkt der hohe Preis neben den drohenden Gesundheitsschäden abschreckend. In Deutschland sei der Absatz von Zigaretten 2005 im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent zurückgegangen, sagte der Leiter der Zentralen Steuerzeichenstelle in Bünde, Klaus Jakomeit. 17 Milliarden Zigaretten seien weniger verkauft worden. Mittlerweile kassiere der Fiskus für jede Packung 2,36 Euro Tabaksteuer. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 13.04.2006