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Erschreckende Leere - Fülle des Lebens

Gedanken zu Ostern: Alfred Buß, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen

Leere Kassen. Kündigungen. Sparen. Und den Gürtel enger schnallen. Düstere Aussicht in die Zukunft, die wenig vertrauenerweckend ist. »Das Leben gewinnen«: Präses Alfred Buß.

Wir sehen kaum über Karfreitag hinaus. Entwürdigtes, gebrochenes, gefoltertes Leben. Umweltkatastrophen. Gewalt an deutschen Schulen. Geiseldramen und Selbstmordattentate im Irak. Israelische Luftangriffe im Gazastreifen. Fast vier Millionen Tote bislang im Kongo.
Wohin sollten wir auch schauen? Ostern ist nicht viel zu sehen. Nur ein leeres Grab. Kein Überschwang an Gefühlen und Stimmungen wie zu Weihnachten. Wie könnte es auch? Denn Ostern beginnt in der Welt des Todes, in der Gottlosigkeit. Ostern beginnt, wo es keine Hoffnung mehr gibt, wo der Glaube am Nullpunkt ist. Ostern beginnt mit dem Ende.
Sie glauben es nicht? Dann lassen Sie uns auf die Frauen sehen, die damals als erste zum Grab Jesu gingen, verstummt vor Trauer und Schmerz. Sie wissen, dass dort nicht nur ein toter Körper liegt, sondern auch ihre Hoffnungen begraben sind.
Die einzige Wahrheit, die ihnen bleibt, ist ihre eigene Enttäuschung über die Vergeblichkeit der letzten Jahre und ihre Einsamkeit. Und einige dürftige Erinnerungen an einem Grab.
Doch sie werden am Grab nicht nur enttäuscht, sie erleben einen Schock. Das Grab ist leer. Mit fassungslosem Entsetzen endet, was von Jesus und allen Hoffnungen noch zu erzählen war. Sie fliehen vor dem leeren Grab, denn Zittern und Entsetzen hat sie ergriffen. Nicht einmal der Tod ist mehr sicher. Und sie sagen niemandem etwas aus lauter Furcht.
Es ist nicht so gekommen, wie sie dachten; nicht zum Arrangement mit dem Tod, nicht zum Friedensschluss mit einer Karfreitagswelt. Sie erschrecken zutiefst: Eine neue Kraft ist herausgebrochen aus der Nacht dieses einen Grabes. Der Ort des Todes ist zum Ort des Lebens geworden.
Wie die Sonne über dem Morgen aufgeht, wie das Licht die Nacht durchbricht - so erleuchtet diese Kunde die düstere Gräberwelt: Er ist auferstanden. Er ist nicht hier!
Nichts zu sehen gibt es Ostern, nur das leere Grab und in ihm dies Wort: Er ist auferstanden. Er ist nicht hier. Nichts zu sehen und doch zu spüren, wie aus tödlichem Abbruch ein Aufbruch wird, wie ein zweifelnd geahnter Gott plötzlich hautnah da ist; wie der am Kreuz Ausgelöschte mitten in tiefster Ohnmacht den Tod entmachtet: Er lebt! Und mit ihm lebt die Liebe, mit der er die Verlorenen liebt. Mit ihm lebt die Vollmacht, mit der er sein rettendes Wort spricht. Mit ihm lebt die Freiheit, in die er Menschen aus der Schuld ruft.
Nichts Sichtbares gibt es zu Ostern, nur dieses Wort: Er ist auferstanden. Und den Auftrag: Geht nach Galiläa. Geht nach Hause, heißt das, in eure gewohnte Wirklichkeit, in euren normalen Alltag. Dort wird sich entscheiden, was dieses Wort mit euch anzufangen vermag.
Dort wird sich entscheiden, was es in euch an Liebe und Leben aufbrechen lässt. Dort fangt von vorn an! Von vorn anfangen bedeutet: immer vom Vorsprung Gottes und nicht von unseren Rückständen aus leben. Den Tod nicht vergessen, wo man ihn flieht und dem Tod nicht erliegen, wo man ihn fürchtet. Mehr provozieren als reagieren, mehr einzahlen als heimzahlen, mehr wagen als wägen, mehr hoffen als fürchten. Und das Leben gewinnen.

Artikel vom 14.04.2006