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»Ehrenmord«:
neun Jahre Haft

Zwei ältere Brüder freigesprochen

Berlin (dpa). Hohe Jugendstrafe und zwei Freisprüche im »Ehrenmord«-Prozess: Der junge Berliner Türke, der seine Schwester im Namen der Familienehre erschossen hat, ist am Donnerstag zu neun Jahren und drei Monaten Jugendhaft verurteilt worden. Seine beiden mitangeklagten älteren Brüder wurden wegen Mangels an Beweisen freigesprochen.

Das Berliner Landgericht sah es als erwiesen an, dass der zur Tatzeit 18-jährige seine 23-jährige Schwester Hatun Sürücü am 7. Februar 2005 mit drei Schüssen in den Kopf getötet hatte. Nach Ansicht der Richter musste die junge Frau, Mutter eines kleinen Sohnes, sterben, weil der Täter den westlichen Lebensstil seiner Schwester ablehnte. Ungeklärt blieb laut Gericht, ob die Familie den Entschluss zur Tötung gemeinschaftlich fasste. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein.
Der inzwischen 20-Jährige, schmale Mann hatte die Tat gleich zu Beginn des Prozesses gestanden. Das Gericht sprach von einer »unfassbaren Dimension« der Tat. »Die lebenslustige, junge Frau wurde Opfer, weil sie ihr Leben lebte, so wie sie es für richtig hielt - dafür wurde sie erschossen von ihrem Bruder und das alles mitten unter uns«, sagte der Vorsitzende Richter Michael Degreif.
Der Fall hatte bundesweit Entsetzen hervorgerufen und eine Debatte über Zwangsehen und Parallelwelten von Ausländern in Deutschland ausgelöst. Die in Deutschland geborene junge Frau hatte sich nach einer Zwangsverheiratung in der Türkei von ihrem Mann getrennt und nach der Rückkehr nach Berlin ein eigenständiges Leben begonnen.
Die beiden älteren Brüder hatten eine Beteiligung stets bestritten. Die Anklage hatte wegen gemeinschaftlichen Mordes für die beiden Älteren lebenslange Haftstrafen gefordert. Der inzwischen 26-Jährige soll die Waffe besorgt, der ein Jahr jüngere Bruder den Tatort überwacht haben. Dafür gab es laut Urteil aber keine unmittelbaren Beweise.
Die Union im Bundestag forderte »Null Toleranz« bei Verbrechen dieser Art. Diese »schändliche Form der Selbstjustiz« entspreche in keiner Weise den Wertvorstellungen von der Würde und Selbstbestimmung der Frau. Auch Zwangsehen seien »keine private oder kulturell tolerierbare Angelegenheit«, die strafrechtlich geahndet werden müsse.
Der Grünen-Europaparlamentariers Cem Özdemir ist »nicht zufrieden« mit dem Urteil, weil es der Familienclanstruktur nicht gerecht werde. »Wenn man weiß, dass solche Mordurteile im Familienrat gefällt werden und der Jüngste ausgesucht wird, weil man bei ihm das geringste Strafmaß erwartet, dann sendet dieses Urteil das falsche Signal in die Gesellschaft.« Die UN-Menschenrechtskommission geht von weltweit 5000 Frauen und Mädchen aus, die alljährlich Opfer von »Ehrenmorden« werden.
Ehrenmorde haben nach Auffassung des Zentralrats der Muslime nichts mit dem Islam zu tun. Kein Mord könne durch den Islam gerechtfertigt werden, insbesondere nicht der »Ehrenmord«.

Artikel vom 14.04.2006