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Unterwäsche führte Fahnder auf die Spur

Mafia-Boss nach 40 Jahren gefasst

Rom (dpa). Ende einer 40-jährigen Flucht: Seit Jahren hatten die Top-Ermittler einer sizilianischen Spezialeinheit nur ein Ziel - den mysteriösen und meistgesuchten italienischen Mafiaboss Bernardo Provenzano zu schnappen.
Ermittler Pietro Grasso zeigt ein Polizeifoto (l.) und Phantombilder von Bernardo Provenzano.

Tag um Tag gingen sie Hinweisen nach, hörten Telefonmitschnitte ab - und dachten mehr als einmal, den flüchtigen Paten aufgespürt zu haben. Aber obwohl er sich nur wenige Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt aufhielt, konnte Provenzano der Polizei immer wieder entwischen. Jetzt wurde ihm kurioserweise seine Unterwäsche zum Verhängnis. Gestern überführten Beamte Provenzano in seinem Versteck auf einem Gehöft in der Nähe der Mafia-Hochburg Corleone.
Ein abgehörtes Telefonat hatte die Ermittler auf die richtige Spur gebracht, berichteten italienische Medien. Darin habe ein Vertrauensmann sich mit seinem Gesprächspartner darüber abgestimmt, wann er dem Boss seine saubere Wäsche bringen soll. In Italien gilt die Festnahme Provenzanos als der größte Coup gegen das organisierte Verbrechen seit mehr als zehn Jahren.
Pullover, Jeans und Stiefel habe er getragen, als ihn die Spezialeinheiten dingfest machten, heißt es. Ein DNA-Test habe bereits bestätigt, dass es sich tatsächlich um Provenzano handelt.
43 Jahre lang lebte Provenzano im Untergrund, immer wieder entwischte er den Fahndern, wechselte seine Verstecke wie Unterhosen. Mehrfach wurde er totgesagt - zuletzt vor nicht einmal zwei Wochen. Dabei tauchte er mal als Bischof verkleidet, mal als armer Bäcker auf. Eine Fährte führte auch nach Deutschland: Dort sollen Provenzanos Ehefrau und seine beiden Söhne Angelo und Paolo zeitweise gelebt haben.
Bis zuletzt soll der 73-jährige Provenzano die Zügel der sizilianischen Cosa Nostra fest in Händen gehalten haben und Drahtzieher des internationalen Drogenhandels und der Geldwäsche gewesen sein. Als äußerst grausam und blutrünstig wurde er beschrieben, als archaische Persönlichkeit und »Pate« alter Prägung.
Kontakte zu Politikern und öffentliche Bauaufträge, eine wesentliche Einnahmequelle der »Ehrenwerten Gesellschaft«, hatte er zur Chefsache erklärt. Nach mehreren Morden an Rivalen war er 1963 untergetaucht. Im Sommer 1992 soll er in das blutige Attentat auf den Mafia-Jäger Paolo Borsellino verwickelt gewesen sein.
Anfang 1993, als der damalige »Boss der Bosse« und vielfache Mörder Toto Riina den Fahndern ins Netz gegangen war, übernahm »U Tratturi« (»Der Traktor«) alias Bernardo Provenzano das Kommando der Cosa Nostra. Immer wieder wechselte er die Verstecke, an seine Getreuen schickte er Zettel mit Befehlen, die mit der Drohung enden: »Sorgt dafür, dass ich mich nicht blamiere.« Solche Zettel hatte er laut »La Sicilia« auch bei seiner Verhaftung in der Jeanstasche.

Artikel vom 12.04.2006