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Den Sieg verpasst: Berlusconi
spricht von Großer Koalition

Wahlprognosen in Italien nochmals ungenauer als in anderen Ländern

Von Peer Meinert
Rom (dpa). Silvio Berlusconi, meinen Bewunderer wie Kritiker des italienischen Ministerpräsidenten, ist immer für eine Überraschung gut.

Vor ein paar Wochen verglich er sich mit Napoleon, dann mit Jesus Christus. Den Coup, den er nach den Parlamentswahlen landete, war für Italiener nicht weniger bizarr: Große Koalition, nach deutschem Muster - das hat bisher in Rom noch niemand ernsthaft ins Auge gefasst. Die Frage ist nur: Wie ernst ist es Berlusconi mit dem Vorschlag tatsächlich?
Wie ein Verlierer gab sich der Unternehmer und Multimilliardär nicht gerade: Den Kopf erhoben, feste Stimme, makelloser dunkler Anzug. Das Wort Niederlage kommt in seinem Sprachgebrauch nicht vor, das hatte Berlusconi einmal vor längerer Zeit vor Vertrauten verlauten lassen. Gestern Abend formulierte er es etwas anders: »Niemand kann behaupten, er (Oppositionschef Romano Prodi) habe gewonnen.« Dass die offiziellen Zahlen des Innenministeriums das Gegenteil behaupten, scheint ihn in dieser Stunde nicht sonderlich zu irritieren.
Berlusconis Coup war der Schlusspunkt einer Wahl, die nervenaufreibender und chaotischer nicht hätte sein können. »Niemand hätte gedacht, dass es so knapp werden könnte, niemand hätte einen Cent darauf gewettet, dass Berlusconi doch noch so viele Stimmen bekommt«, meint ein deutscher Politologe in Rom. Die Mailänder Zeitung »Corriere della Sera«, das Flaggschiff des unabhängigen italienischen Journalismus, sprach vom »Wiederaufstieg« des schillernden Berlusconi.
Tatsächlich erwiesen sich die Wahlprognosen in Rom nochmals ungenauer als in anderen Ländern. Schon gibt es Spekulationen, hier stecke böse Absicht dahinter. Auch die Regierung hegt den Verdacht, es könnte nicht ganz mit rechten Dingen zugehen. Jetzt will sie, dass 500000 ungültige Stimmzettel genau überprüft werden. Wäre es tatsächlich möglich, dass hier manipuliert wurde? Oder ist das Teil einer Berlusconi-Strategie zur Verunsicherung?
Die Linke schäumte über Berlusconis Weigerung, die Niederlage einzugestehen. »Versuch zur Fälschung der Realität«, hieß es in ersten Reaktionen. Fünf Jahre lang hatte die Linke auf den Tag des Triumphes gewartet.
»Für eine Große Koalition herrschen in Italien nicht die notwendigen politischen Bedingungen«, so bügelt der ehemalige Regierungschef und Ex-Kommunist Massimo D'Alema den Vorstoß Berlusconis entschlossen ab. Im Wahlkampf hatten Berlusconi und seine Leute die Linke immer wieder zum Bürgerschreck erklärt, in die Nähe von Diktatoren wie Stalin und Mao gerückt - kaum denkbar, dass sie jetzt mit diesen Linken auf der Regierungsbank sitzen wollen.
Doch in einem hat Berlusconi Recht, er sprach von der »Spaltung des Landes«. Die »Spaltung Italiens« betrachten auch viele Soziologen als das eigentliche Problem, das Problem jenseits der politischen Prozentzahlen. Wirtschaftlich die Spaltung in Arm und Reich, politisch in links und rechts. Doch auch eines gilt als unbestritten: Dass diese Spaltung, diese Kluft in der italienischen Gesellschaft in den vergangenen Jahren deutlich größer wurde - dazu habe gerade Berlusconi mit seiner Politik und seiner Polarisierung erheblich beigetragen.

Artikel vom 12.04.2006