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Patientin sollte
mit Teelöffel Alarm schlagen

In Klinik war kein Zimmer mehr frei

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WB). Überfüllte Zimmer, überlastetes Personal - im Krankenhaus herrschen zeitweilig beängstigende Zustände. Eine 74-jährige Patientin aus Paderborn wurde zum Opfer der deutschen Gesundheitspolitik.

Wegen einer Lungenentzündung hatte der Hausarzt Luise S. im Juni vergangenen Jahres ins Krankenhaus eingewiesen. Als wenige Stunden später Angehörige erschienen, mussten sie feststellen, dass ihre Tante in einem Bett auf dem Flur lag. »Es ist leider kein Zimmer mehr frei«, bedauerte die Stationsschwester.«
»Manchmal ist die Nachfrage derart groß, dass Patienten, die nachmittags als Notfälle eingeliefert werden, schon mal bis zum nächsten Morgen auf ein Zimmer warten und die Nacht auf dem Flur verbringen müssen«, erklärt der Verwaltungschef des Hauses. »Aber wie soll sie sich denn bemerkbar machen, wenn irgendetwas ist?« fragten die Angehörigen und wiesen auf das Problem der fehlenden Klingel hin. Doch Not macht erfinderisch. Ein Pfleger organisierte kurzerhand einen Löffel, den er der schwerkranken alten Dame in die Hand drückte. »Damit können Sie an die Heizung schlagen, und dann kümmert sich jemand um Sie.«
Als Luise S. am späten Abend, als bereits die Nachtwache im Dienst war, zur Toilette musste, griff sie zum »Notlöffel«, um Klopfzeichen zu geben. Aber sie konnte klopfen, so heftig und so lange sie mochte - von einer Schwester war weit und breit nichts zu sehen. Als sie es nicht mehr aushielt, versuchte die Rentnerin schließlich, ohne Hilfe aufzustehen, um zur Toilette zu gehen. Ein Unterfangen, das schmerzlich endete. Denn die körperlich stark geschwächte Luise S. rutschte von der Bettkante, fiel zu Boden, zog sich einen Oberschenkelhalsbruch zu und musste operiert werden. »Eine unglaubliche Nachlässigkeit«, kritisiert der Bad Lippspringer Patientenanwalt Olaf Schmitz das Verhalten des Krankenhauspersonals. Er drohte dem Paderborner Hospital mit einer Klage. Auf einen öffentlichen Prozess mochte es die Leitung jedoch nicht ankommen lassen. In einem außergerichtlichen Vergleich zahlte die Haftpflichtversicherung - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - der Patientin freiwillig 7000 Euro Schmerzensgeld.
Gegenüber dieser Zeitung bestätigte der Verwaltungschef gestern, dass es sich bei der vorübergehenden Unterbringung auf dem Flur keineswegs um einen Einzelfall handelt. »Das ist auch für uns eine unbefriedigende Situation und nicht das, was wir unseren Patienten eigentlich bieten möchten.« Die Patientenzimmer seien nicht groß genug, um bei voller Belegung noch ein Notbett dazu zu stellen. Man bemühe sich zwar seit langem, die räumlichen Strukturen insgesamt zu verbessern, aber angesichts knapper Finanzen würden für die erforderlichen baulichen Veränderungen derzeit keine Zuschüsse bereit gestellt.
So werden manche Krankenhauspatienten in Paderborn wohl weiterhin mit einem Bett auf dem Stationsflur Vorlieb nehmen müssen - zumindest vorübergehend.

Artikel vom 12.04.2006