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Leitartikel
Sprache und Integration

Rütli-Schule
ist kein
Einzelfall


Von Andreas Schnadwinkel
Nach sieben rot-grünen Regierungsjahren hat das Denk- und Sprachverbot angesichts dräuender Probleme mit Ausländern (auch dieser Begriff ist wieder erlaubt statt »Menschen mit Migrationshintergrund«) keinen Bestand mehr. Gesellschaftliche Themen können wieder halbwegs unideologisch betrachtet werden.
Linke politische Überkorrektheiten und die - zumindest gefühlte - Schlechterstellung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheiten haben Spuren hinterlassen, nämlich einen erheblichen Problemstau: Integration von Ausländern und Spätaussiedlern, Sprachförderung als Voraussetzung, Zuwanderung über hohe Geburtenrate bei Migranten, Gewalt an Schulen mit hohem Anteil muslimischer Schüler.
Wenn Wolfgang Thierse (SPD) behauptet, dass »die Integrationsprobleme das Ergebnis einer 40-jährigen westdeutschen Lebenslüge« seien, dann ist das nicht nur eine Unverfrorenheit aus dem Munde eines ehemaligen DDR-Bürgers, sondern einfach falsch. Als es in den 60er, 70er und 80er Jahren noch Jobs für ungelernte Arbeiter gab, lernten Zuwanderer die deutsche Sprache am Fließband und an der Werkbank von ihren Kollegen.
Heute gibt es die Arbeitsplätze nicht mehr in ausreichender Zahl, weil der Niedriglohnsektor bürokratisiert ist und Industriearbeitsplätze spürbar weniger werden. Integration funktioniert über Arbeit und Sprache. Nur wer sich gebraucht fühlt und mitreden kann, ist zufrieden mit seinem Leben.
Nicht alle, aber viele der arbeitslosen ausländischen Eltern geben ihre Sprachlosigkeit an die Kinder weiter, die eingeschult werden, ohne Deutsch zu sprechen. Und wer sich mit Worten nicht messen kann und Argumente sprachlich nicht versteht, der macht sich anders verständlich.
Mit der Zuwanderung über die hohe Geburtenrate bei Migranten haben die westeuropäischen Länder die Probleme aus den muslimischen Staaten importiert. Ob in der Türkei, Marokko oder Syrien: Die wirtschaftliche Entwicklung kann mit der positiven demographischen Tendenz nicht Schritt halten. Für die jungen Männer gibt es auch dort zu wenig Arbeit. Es gibt zu viele Menschen ohne Ausbildung, die von Wirtschaft und Gesellschaft nicht gebraucht werden. Die Folgen sind Aggression, Kriminalität, soziale Spannungen, Bürgerkriege.
Noch haben wir keine französischen Verhältnisse, weil die Muslime in Deutschland in ihrer Mehrzahl ruhig und unauffällig leben und die »kritische Masse« junger arbeitsloser Migranten noch nicht erreicht ist. Aber das wird mittelfristig der Fall sein, denn die einzige demographisch wachsende Bevölkerungsgruppe ist die der Zuwanderer. Vor den Problemen, die das zunehmende ausbildungs- und beschäftigungslose Proletariat mit sich bringt, kann und darf die Politik nicht länger die Augen verschließen.
Der Hilferuf der Rütli-Schule ist kein Einzelfall, sondern der Anfang eines unausweichlichen und konfliktreichen Prozesses.

Artikel vom 05.05.2006