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Ein Weg in die labyrinthische Spirale

Britisch-indischer Schriftsteller Salman Rushdie legt neuen Roman vor

Von Bernhard Hertlein
Panchigam (WB). »Wer sich für die Liebe einsetzt, macht sich für das Beste in uns stark«, sagt einer der Dorfältesten. Da ist die Welt in Panchigam noch in Ordnung. Moslems, Hindus und ein paar Juden leben friedlich in dem kaschmirischen Dorf zusammen.
Der britische Schriftsteller Salman Rushdie.Foto: dpa

Man ist zu diesem Zeitpunkt noch tolerant und großzügig -Êsogar, als Shalimar, Hochseilartist und Moslem, und Boonyi, eine hinduistische Dorfschönheit und Tänzerin, beim vorehelichen Techtelmechtel erwischt werden. Doch Boonyi dankt dem Dorf diese Großzügigkeit nicht. Als sich der in Delhi residierende US-Botschafter Max Ophuls bei einem Abstecher nach Kaschmir in die Tänzerin verliebt und ihr ein Liebesnest in der indischen Hauptstadt anbietet, entscheidet sich die junge Frau für diese Art der Freiheit und gegen die heile Welt des Dorflebens. Sie wird es später, als der Botschafter das Interesse an ihr verloren hat, bitter bereuen. Aber da hat sie Shalimar schon zum Narren und -Êfolgenreicher - zu einem künftigen Attentäter gemacht, der nichts weiter mehr im Sinn hat als sich an ihr, Ophuls und an deren gemeinsamen Tochter zu rächen.
In seinem neuen Buch »Shalimar der Narr« nimmt Salman Rushdie nach langer Pause zwei unterschiedliche Stränge seines Schaffens und Lebens wieder auf. Zum Einen macht er Indien 23 Jahre nach dem Erscheinen der »Mitternachtskinder« endlich wieder ein Mal zum Mittelpunkt eines großen Romans. Und zum Anderen greift er 18 Jahre nach den »Satanischen Versen« und 17 Jahre nach der mit einem Todesurteil verbundenen Fatwa Khomeinis das Thema auf, das sein eigenes Leben geprägt hat: Gewalt und Terror. Dabei webt Rushdie in dem ihm eigenen Erzählstil Reales und Mythisches sowie Privates und Politisches zu einem Teppich, den man nicht am Fliegen hindern kann.
Nicht nur in Kaschmir, wo »eiserne Mullahs« den Terror predigen, auch in Europa, wo sich Ophuls als Jude während der Nazi-Zeit der französischen Résistance anschließt, in Vietnam, wo die US-Armee Napalm auf Unschuldige wirft, und in Los Angeles, wo es 1992 zu schweren Ressenunruhen kommt, stößt der Samen der Gewalt auf fruchtbaren Boden.
Nach Erscheinen dieses Romans boten ein paar Karrikaturen schon wieder Anlass, diesen Hass aufs Neue anzufachen. Rushdie nimmt den Leser mit in diese labyrinthische Spirale. Den Ausweg muss jeder selbst finden.
SALMAN RUSHDIE: Shalimar der Narr, 542 Seiten, Rowohlt-Verlag, 22,90 Euro.

Artikel vom 13.04.2006