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Nur einen kurzen Augenblick kommt dem Herrn Hase der Gedanke, ob er nicht vielleicht doch selbst . . .

Leitartikel
Unterwegs

Herr Hase weiß nicht
Bescheid


Von Bernhard Hertlein
Osterhase ist arbeitslos. In der Eierfabrik haben sie eine neue Färbanlage installiert. Da rollen die Farbeier jetzt im Sekundentakt vom Band -Êschneller und gleichmäßiger, als Herr Hase sie jemals bemalt hat. Als vor einem halben Jahr ein ganzer Hühnerstall ausgemustert wurde, weil der Chef einen Weg gefunden hatte, die Eier billiger aus Holland zu importieren, schaute er nur weg: »Mein Name ist Hase, hier weiß ich nun wirklich nicht Bescheid.«
Osterhase fährt Straßenbahn. Zwei Reihen weiter sitzt ein junger Mann, die Füße auf und ab wippend auf dem gegenüberliegenden Sitz. Der MP3-Player dröhnt so laut, dass alle anderen Fahrgäste zwangsläufig mithören. Eine Dame wagt es: »Junger Mann, könnten Sie freundlicherweise ihre Musik etwas leiser drehen?« Sie nennt das Gestampfe tatsächlich »Musik«. Der Angesprochene nimmt noch nicht einmal den Kopfhörer aus dem Ohr: »Halt's Maul, Alte.« Und wenig später: »Verpiss dich, wenn's dir nicht gefällt.« Kein anderer Fahrgast in dem fast voll besetzten Waggon sagt etwas. Wahrscheinlich heißen sie alle »Hase«.
Später hoppelt Meister Lampe bei der alten Häschenschule vorbei. Vor der Tür stehen ein paar Halbstarke und rauchen. »Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben«, denkt Hase. Laut sagt er nichts. Eine blonde Häsin kommt vorbei, in zu kurzem T-Shirt, einen silbernen Ring in ihrem Bauchnabel. »Alter, glotz nicht«, sagt einer der jungen Kerle. »Hurenbock«, sagt das Mädchen. Herr Hase sagt nichts.
Vor dem Kaufhaus der Stadt sitzt ein Obdachloser. Auf seinem armseligen Pappteller liegen ein paar Münzen, Zehn- und Zwangzig-Cent-Stücke. Ein Glatzkopf baut sich vor dem Bettler auf. Erst kickt er den Pappteller weg, dann tritt er auf den Mann ein. »Hau ab«, sagt er. »Hier haben Typen wie du nichts verloren.« Der Obdachlose geht. Herr Hase auch. Keiner der Umstehenden hat sich eingemischt.
Später, allein in seinem Bau, sinnt Herr Hase darüber nach, wie brutal und gewalttätig unsere Gesellschaft geworden ist. »Und keiner sagt etwas«, wundert er sich. »Und keiner mischt sich ein.«
Nur einen kurzen Augenblick kommt ihm der Gedanke, ob er nicht vielleicht selbst. . . »Ach was«, sagt er sich. »Ich kann doch ohnehin nichts ausrichten. Ich bin doch nur Herr Hase.«
Und weil er schon mal gerade Probleme wälzt, da fällt ihm ein, dass die Hasen-Population auch immer weiter zurückgeht. Früher galt Seinesgleichen als ausgesprochen fruchtbar. Doch aus irgendeinem Grund scheint den Hasen die Lust am Nachwuchszeugen vergangen zu sein.
Gerade in diesem Augenblick taucht die hübsche Nachbarin auf. »Na, Herr Hase«, fragt sie schnippisch, »auch schon wilde Frühlingsgefühle?« Da knickt Lampe die Löffel ein, dreht sich erschrocken zur Seite. Sein Gesicht läuft purpurrot an. »Nein, nein«, stottert er. »Ich bin doch nur ein Osterhase. Und in diesem Punkt weiß ich nun wirklich nicht Bescheid.«

Artikel vom 13.04.2006