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Immer gut für
Überraschungen

Kardinal Lehmann über den Papst

Mainz (dpa). Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, zieht eine positive Bilanz des ersten Amtsjahres von Papst Benedikt XVI. Dieser habe die Arbeit seines Vorgängers Johannes Paul II. kontinuierlich fortgesetzt, zugleich habe Joseph Ratzinger dabei aber auch »ein beachtliches eigenes Profil« entwickelt, sagte Lehmann in einem Interview.
»Neuen Schwung können wir immer gebrauchen«: Kardinal Karl Lehmann.

Weniger Kirchenaustritte, steigende Eintritte, ein positives Medienecho: Hat Papst Benedikt XVI. der katholischen Kirche in Deutschland neuen Mut und Schwung gegeben? Kardinal Lehmann: »Es ist in der Tat so, dass auch auf dem deutschen Buchmarkt neue Titel wie »Wiederkehr der Religion« oder »Wiederkehr der Götter« zu finden sind. Die statistischen Daten sind erfreulich, wir dürfen uns aber nicht nur an Zahlen aufhalten. Emotionale Wellen verebben auch sehr schnell wieder.
Daher sind wir an einer Nachhaltigkeit interessiert, die die Mode überdauert. Dazu haben wir etwa für das Themenfeld der Jugendpastoral nach dem Weltjugendtag einen weiterführenden Studientag auf der Ebene der Bischofskonferenz gehabt, um aus den Erfahrungen von Köln auch für die Zukunft zu profitieren. Neuen Schwung können wir im übrigen immer wieder gebrauchen, nicht nur in der Kirche.«

Der Weltjugendtag in Köln und die erste Enzyklika »Deus caritas est« waren Höhepunkte des ersten Jahres des Pontifikats. Was würden Sie persönlich hervorheben wollen? Kardinal Lehmann: »Vieles, was nicht so spektakulär und in der öffentlichen Wahrnehmung so präsent war, ist sicher ebenso wichtig und zu nennen. Ich denke etwa auch an die große Weltbischofssynode im vergangenen Oktober in Rom, die vielen Ansprachen bei Audienzen und beim Angelusgebet zu verschiedenen wichtigen Themen, das Kardinalskonsistorium in diesem März oder die Botschaften und Predigten bei den großen Gottesdiensten und großen und kleineren Audienzen. Der Papst hat in großer Kontinuität zu seinem Vorgänger ein beachtliches eigenes Profil entwickelt.«

Papst Johannes XXIII. hat mit dem Zweiten Vatikanum die Öffnung der Kirche zur modernen Welt angestoßen, Johannes Paul II. trug als große moralische Autorität und »Weltgewissen« mit zum Zusammenbruch des Kommunismus bei. Zeichnet sich schon eine historische Perspektive des Pontifikats von Benedikt XVI. ab, möglicherweise in einer Mittlerrolle in der Konfrontation zwischen westlicher und islamischer Welt? Kardinal Lehmann: »Es wäre viel zu früh, eine Bilanz über das Gesamt-Pontifikat von Papst Benedikt XVI. zu ziehen. Ich kann nur noch einmal wiederholen, was ich schon kurz nach der Wahl des neuen Papstes in Interviews gesagt habe: Dieser Papst ist für Überraschungen gut. Man muss ihm aber Zeit lassen.
Wir dürfen gespannt sein, wie er die Themen, die nun anstehen, angehen wird, zum Beispiel die Reform der Kurie, wichtige Personalentscheidungen, die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit und die Themen des interreligiösen Dialogs ebenso wie die innerchristliche Ökumene, um nur wenige Beispiele zu nennen. Bisher hat der Papst dies überlegt und klug angepackt. In diesem Sinne dürfen wir zuversichtlich warten.«

Artikel vom 13.04.2006