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»Es reicht nicht, ab und dann zu sagen, ich bin stolz ein Deutscher zu sein.«

Leitartikel
Integrationsdebatte

Das Ringen
um die
Leitkultur


Von Jürgen Liminski
Der Streit um die Integration ist ein Streit um die Leitkultur in diesem Land. Von Rot-Grün war nie zu erwarten, dass Deutschland aufrichtig geachtet, geschweige denn geliebt werde. Immer schwang, besonders bei den sogenannten politischen Alpha-Tieren Joschka Fischer und Gerhard Schröder ein emotionales Anti-Element mit. Sie waren dagegen.
Ihre Identifikation mit Deutschland war von den 68er-Erfahrungen gleichsam überschattet, sie strebten die Integration Deutschlands in ihr persönliches System, in ihre eigene, individuelle Lebensvorstellung an. Schröder verfährt auch jetzt noch nach dieser Maxime: Im Interesse Deutschlands liegt alles, was mir nützt. Die Union dagegen, gelähmt vom multikulturellen Zeitgeist, wagte es nicht, offen gegen diese im Kern das Allgemeinwohl zerstörende Haltung anzugehen. Nur selten sprach sich der eine oder andere Politiker, etwa Friedrich Merz, für eine Debatte über die Leitkultur aus.
Diese Debatte ist aber notwendig. Sie berührt die Identität dieses Landes und seines Volkes. Sie hätte längst, auch schon vor dem Fall der Mauer, geführt werden müssen. Es reicht nicht, ab und dann zu sagen: Ich bin stolz ein Deutscher zu sein. Das führt nicht weit, kommt auch ein wenig trotzig und pubertär daher. Wichtig ist, Kriterien für die Kultur in diesem Land zu benennen. Insofern ist der Fragebogen prinzipiell richtig.
Was zum Integrationskanon des Deutschen gehört, ist dann eine Detailfrage und übrigens auch eine Frage des Bildungssystems. Man kann von ausländischen - auch von deutschen - Schülern nicht abfragen, was sie in der Schule nicht (mehr) lernen. Wer mehr über das Sortieren von Müll als über den Freiheitsbegriff in Amerika hört oder weit mehr über die zwölf dunklen Jahre der deutschen Geschichte als über die knapp tausend Jahre davor und erst recht über die fünfzig insgesamt doch hoffnungsvollen Jahre danach, von dem ist nicht zu erwarten, dass er Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kulturell einordnen kann.
Die Forderung der CSU nach einer Integrationspflicht ist zunächst die Forderung an sich selbst, den Integrationsrahmen, die eigene Kultur zu definieren. Man kann schlechterdings von einem Muslim fordern, dass er sich völlig in ein christliches Land integriert. Das würde unserem Freiheitsverständnis widersprechen. Man kann aber von ihm (und allen anderen) erwarten, dass er das Grundgesetz respektiert und achtet, also die Gleichheit von Mann und Frau. Und man muss verlangen, dass der Integrationswillige die Sprache erlernt.
Wer kein Deutsch lernt, grenzt sich selber aus. Man könnte boshaft sagen, das gelte auch für manchen Deutschen. Das ist des Pudels Kern: Identität bestimmen und Sprachkenntnis einfordern. Hier gibt es eine Bringschuld der Deutschen gegenüber Ausländern und eine Pflicht der Ausländer gegenüber Deutschland. Integration ist keine Einbahnstraße. Das muss auch die CSU noch lernen.

Artikel vom 12.04.2006