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Hoffnungsträger Platzeck hielt
den Erwartungsdruck nicht aus

Das Murren der Parteilinken in der SPD wurde zuletzt immer lauter

Von Klaus-Peter Senger
und Markus Krah
Berlin (Reuters). Lediglich Kurt Schumacher hatte als SPD-Vorsitzender mehr Zustimmung erhalten als Matthias Platzeck, der im November als Nachfolger von Franz Müntefering zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. Doch das Wahlergebnis von mehr als 99 Prozent sorgte auch für einen Erwartungsdruck, dem der 52-Jährige gesundheitlich nicht gewachsen war.

Nach zwei Hörstürzen sowie einem Kreislauf- und Nervenzusammenbruch zog Platzeck die Notbremse: Nach nur knapp fünf Monaten im Amt gab der als Hoffnungsträger Gefeierte den Parteivorsitz zurück. Kürzer im Amt war nur Johannes Rau als kommissarischer Parteichef nach dem Rücktritt von Björn Engholm im Jahre 1993.
»Wir haben versprochen, für das Land zu arbeiten. Vergeuden wir keine Zeit!«, hatte er nach seiner Wahl den Parteitagsdelegierten zugerufen. Entsprechend hoch war dann das Tempo, das Platzeck anschlug. Zu seinem Full-Time-Job als Regierungschefs von Brandenburg galt es nun, ein neues Grundsatzprogramm auszuarbeiten und die gerade vereinbarten Abmachungen mit der Union umzusetzen, auch gegen Widerstände in der eigenen Partei.
Sowohl beim Grundsatzprogramm als auch bei der Regierungsarbeit im Bund müssen die chronisch zerstrittenen Flügel, die seine Kandidatur selten einmütig unterstützt hatten, zufrieden gestellt werden. Diesen Spagat, der ihm aus der Partei wiederholt den Vorwurf eines mangelnden Profils einbrachte, schaffte er nur zum Teil. In den vergangenen Wochen wurde das Murren der Parteilinken immer vernehmlicher, auch wenn Platzeck nicht müde wurde zu erklären, beim Umbau der Sozialsysteme werde sich die SPD als soziales Gewissen der Koalition profilieren.
Zu Beginn der Arbeiten an der Gesundheitsreform - das erste Sachthema der großen Koalition mit angekündigten Konfliktpotenzial, brach dann der Unmut in der Linken offen auf. Präsidiumsmitglied Andrea Nahles warf ihrer Partei eine unklare Haltung vor. Wer die Verhandlungslinie der SPD herausfinden wolle, »fühlt sich, als ob er in Watte greift«.
Der erste ostdeutsche SPD-Vorsitzende kann trotz der nur kurzen Amtszeit aber auch schon auf Erfolge zurückblicken. »Der Platzeck wird geradezu geliebt«, sagte kürzlich ein führender SPD-Abgeordneter im Bundestag. Die Partei schätze an ihm vor allem, dass er einen anderen, kooperativeren Stil gemessen an seinen Vorgängern Gerhard Schröder und Müntefering in die Partei eingebracht habe. Auch bei der Basis kam der mit seinem Drei-Tage-Bart noch sehr jung wirkende Politiker gut an. Und auch bei den Wahlergebnissen traf es Platzeck nicht so schlimm wie seine Vorgänger.
In der untergehenden DDR war Platzeck in der Umweltbewegung aktiv. Hans Modrow, der letzte von der SED gestellte DDR-Regierungschef, machte ihn zu einem Minister ohne Geschäftsbereich. 1990 übernahm er für Bündnis 90 im neu gebildeten Land Brandenburg das Amt des Umweltministers. Er blieb als Parteiloser im Amt, nachdem seine Partei bei der Landtagswahl 1994 an der Fünf-Prozent-Klausel gescheitert war.
Erst 1995 trat er in die SPD ein und galt schnell als »Kronprinz« des damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe. Bundesweit bekannt wurde Platzeck 1997, als er beim Oderhochwasser den Kampf gegen die Fluten koordinierte. Seitdem haftet ihm der Ehrentitel »Deichgraf« an.
1998 wurde er Oberbürgermeister in Potsdam. 2002 wurde er Regierungschef in Brandenburg, als Stolpe ins Bundeskabinett wechselte. Die SPD-Spitze wollte ihn auch nach der Bundestagswahl im September 2005 für ein Ministeramt in der angestrebten großen Koalition holen. Platzeck war erleichtert, dass Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee sein langes Zögern aufgab und sich als neuer Verkehrsminister zur Verfügung stellte.

Artikel vom 11.04.2006