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Pfeifen und rote Fahnen vor Rathaus

Kundgebung der IG Metall in Brackwede zum Tarifstreit mit mehr als 1500 Teilnehmern

Von Ulrich Hohenhoff
(Text und Foto)
Brackwede (WB). Rote Fahnen, Spruchbänder, Trillerpfeifen und markige Worte: Brackwedes Rathausvorplatz sah gestern Morgen eine eindrucksvolle Kundgebung der IG Metall. Mehr als 1500 Beschäftigte, vornehmlich aus Betrieben im Bielefelder Süden, waren zu Fuß, mit Bussen oder der Straßenbahn gekommen. Sie wollten Stärke zeigen und den Forderungen ihrer Gewerkschaft in den Tarifverhandlungen Nachdruck verleihen.

Die Kundgebung in Brackwede war Teil eines landesweiten Aktionstages, bei dem Tausende ihre Arbeit niederlegten und auf die Straße gingen. Frank Markowski, Betriebsratsvorsitzender bei MHP in Brackwede, lehnte das »spärliche Angebot der Arbeitgeberseite« entschieden ab und warnte die Unternehmer, »dass jetzt Schluss mit lustig« sei. Seine Kollegen seien bereit, zu kämpfen und zu streiken. Die politische Situation habe sich entscheidend verändert. »Heraufsetzung des Rentenalters, Erhöhung der Mehrwertsteuer, keine Anhebung der Realeinkommen, ständige Angst um den Arbeitsplatz und immer stärkerer Leistungsdruck in den Betrieben. Wir brauchen einen guten Abschluss, sonst läuft nichts«, sagte Frank Markowski.
Hüseyin Göcmen, Betriebsratsvorsitzender bei »Baumgarte Eisengießerei« in Brackwede, rief seine türkischen Landsleute zum Mitmachen auf. »Heute sind wir keine Türken und keine Deutschen, heute sind wir alle Metaller.« Mehrere 1000 Beschäftigte nahmen nach Angaben von Harry Domnik, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Bielefeld, im Bereich seiner Verwaltungsstelle gestern an Warnstreiks teil. Die Gewerkschaft fordert fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt, 37 Euro mehr Ausbildungsvergütung, Weiterbestand der vermögenswirksamen Leistungen, mehr Weiterbildung und Innovation in Betrieben und Verwaltungen. In mehr als 30 Verhandlungsterminen habe man immer nur ein kategorisches »Nein« zu den Forderungen vernommen. Das dann vorgelegte Metallarbeitgeberangebot sei eine Provokation der Beschäftigten.
Domnik verwies auf die »insgesamt hervorragende wirtschaftliche Situation« in der Metallindustrie. »Entgelterhöhungen von fünf Prozent nützen nicht nur den Menschen, sondern auch der Wirtschaft. Wir brauchen endlich eine Belebung der Binnenkonjunktur«, rief er den Kundgebungsteilnehmern zu und brachte »den immer noch geltenden Satz von Henry Ford, dass Autos keine Autos kaufen, sondern Menschen Autos kaufen«, in Erinnerung.
Zum dritten Mal in Folge sei Deutschland Exportweltmeister, aber im Inland lahme die Wirtschaft seit Jahren. Öffentliche Investitionen und kaufkräftige Nachfrage fehlten. »Die Binnenkonjunktur so absaufen zu lassen, wie das in Deutschland von Politik und Wirtschaft seit Jahren praktiziert wird, das ist der eigentliche Wahnsinn. Das neoliberale Großexperiment, im Labor Deutschland wirtschaftlichen Fortschritt durch Lohnzurückhaltung zu erzielen, ist für alle sichtbar gescheitert.«
Fünf Prozent mehr seien fair. »Und deshalb werden wir für unsere Forderungen kämpfen.« Die Arbeitgeber setzten in der Tarifauseinandersetzung voll auf das Motto »Geiz ist geil«. Zu dieser Mentalität sage die Gewerkschaft: »Wir sind doch nicht blöd!« »Tarifverträge sind Tarifverträge und kein Preisschild mit der Aufschrift ÝUnverbindliche PreisempfehlungÜ«.
Domnik unterstrich, dass die Gewerkschaft eine Lösung am Verhandlungstisch wolle. »Warnstreiks sind für uns kein Selbstzweck und auch kein Ersatz für Urabstimmung und Streik. Wir werden den Konflikt nicht scheuen, wenn die Arbeitgeber ihn wollen«, schwor er die Kundgebungsteilnehmer »auf eine harte Auseinandersetzung« ein. An der Kundgebung nahmen Belegschaftsmitglieder der Firmen Gildemeister, ZF Sachs, Dürkopp, Böllhoff, Baumgarte Eisengießerei, Welland & Tuxhorn, Siemens, Thyssen Krupp Umformtechnik, Agfeo, Benteler, MHP und Berg & Co teil.

Artikel vom 12.04.2006