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Von Bambis und Hirschen
Ein süßes Filmtier und das wahre Leben im Walde haben wenig gemein
»Bambi« ist wieder da! Seit Donnerstag läuft »Bambi II - Der Herr der Wälder« als Fortsetzung des legendären Zeichentrick-Tierdramas in den deutschen Kinos. Doch manch einer stellt sich - rührende Geschichte hin, wundervolle Bilder her - die Frage: Was ist »Bambi« eigentlich, Rehkitz oder junger Hirsch?
Im deutschen Kino ist »Bambi« der Sohn eines stolzen Weißwedel-Hirsches - und gleichwohl Kitz. Vermutlich auch deshalb sind Irrtümer in Sachen Reh und Hirsch weit verbreitet, glauben die Experten der Deutschen Wildtier Stiftung. Den neuen Film nehmen sie deshalb augenzwinkernd zum Anlass, ein wenig Aufklärung in dieser Angelegenheit zu betreiben. Sie stellen klar: Das Reh ist nicht »die Frau vom Hirsch« - wie viele Menschen glauben. Und Hirsche sind eigentlich auch nicht »Könige der Wälder«.
Zu den verbreiteten Fehldeutungen im Verhältnis von Hirsch und Reh trug vermutlich schon der erste »Bambi«-Film aus dem Jahr 1942 maßgeblich bei. Als der österreichische Autor Felix Salten 1923 sein Tierkind »Bambi« schuf, wollte er die Geschichte eines kleinen Rehs erzählen. Den Namen entlehnte er dem italienischen Wort für Kind: Bambino. »Bambi« lebte, völlig normal als Kitz von Ricke und Rehbock, irgendwo in den österreichischen Wäldern.
Walt Disney erwarb Ende der 30er Jahre die Filmrechte und amerikanisierte die Story für sein Hauptpublikum. Aus dem Rehkitz wurde ein Weißwedelhirschkalb - einfach weil es in den USA keine europäischen Rehe gibt. Dafür liebt dort jedes Kind den Weißwedelhirsch. Dessen Junge (Kälber) und Rehkitze sehen sich zudem mit ihren weißen Punkten sehr ähnlich. - So weit, so gut.
Zum Durcheinander kam es dann in der deutschen Synchronfassung des rührenden Kinomärchens: »Bambi« war darin wieder ein Rehlein, das Vatertier aber blieb Hirsch. Und weil im deutschen Sprachraum der Gattungsbegriff Hirsch gerne mit der Art Rothirsch gleichgesetzt wird, glaubten Laien fürderhin, dass Hirsch und Reh im Walde wohl »Mann und Frau« sein müssten. Der Waidmann indes weiß: Der Rothirsch gehört zu den Echten Hirschen (Cervinae), wird bis zu 1,50 groß (Schulter) und bis zu 300 Kilogramm schwer. Das Reh indes gehört zu den »Trughirschen« (Odocoileinae oder Capreolinae), schafft maximal 80 Zentimeter und nur 20 bis 30 Kilogramm.
Dass auch der Weißwedelhirsch (wegen der weißen Unterseite des Schwanzes, mit der er wedelt, wenn er die Artgenossen vor Gefahr warnen will) ein Trughirsch und somit dem Reh näher ist als der Rothirsch, sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt. Mit einem Meter Schulterhöhe und 150 Kilogramm Gewicht steht er sozusagen zwischen beiden. Weißwedelhirsch und Reh treffen sich aber nur im Kino - weil im wahren Leben ja der Atlantische Ozean sie trennt: Bambi(ni) also schon deshalb unmöglich.
Bliebe noch das eigentlich traurige Kapitel »König der Wälder«. So wird der Rothirsch heute wohl bezeichnet, weil er das größte bei uns frei lebende Säugetier ist. Doch eigentlich ist er der »König der Felder«, denn als ehemaliger Steppenbewohner bevorzugt er offene Landschaften. Intensive Landwirtschaft und starke Bejagung haben ihn im Laufe der Zeit jedoch in die Wälder zurückgedrängt, aus denen er sich heute nur noch im Schutze der Dunkelheit hinauswagt. Und selbst im deutschen Wald wird er nur noch in 140 ausgewiesenen »Rotwildgebieten« geduldet, weil er Rinden frisst, also den Bäumen und somit der Forstwirtschaft schadet. Verlässt er das Reservat: Peng!
Fazit: »Bambi« kann von dieser Welt nicht sein - aber gerade deshalb ist es ja im Kino so schön. Ingo Steinsdörfer

Artikel vom 29.04.2006