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Kahn denkt an Deutschland

Der Bayern-Torwart macht weiter - Klinsmann lobt die faire Haltung

München (dpa). Oliver Kahn hat auf die schwerste Niederlage seiner Karriere reagiert und nicht resigniert. Er will die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nun als Nummer 2 mit zum WM-Titel führen.

»Es geht nicht um Oliver Kahn oder persönliche Belange, es geht um etwas viel Größeres, die WM in Deutschland. Wir können mit unserer Mannschaft Weltmeister werden, dazu will ich beitragen, was ich kann«, sagte der Kapitän des FC Bayern München.
Die Zeichen schienen auf Rücktritt zu stehen, als Kahn nur drei Tage nach dem für ihn unerwarteten und bitteren K.o. im gnadenlosen Kampf mit Jens Lehmann um den Platz im deutschen WM-Tor kurzfristig zu seiner ersten öffentlichen Stellungnahme auf das Vereinsgelände des Rekordmeisters einlud. Er nahm seine programmierte Rolle als WM-Reservist an und versicherte sogar seinem ungeliebten Rivalen Lehmann Loyalität und Unterstützung.
»Es wird keine Konflikte geben«, versprach Kahn und sagte in Bezug auf Lehmann: »Ich denke, er hat wie ich starke Leistungen in der letzten Zeit gezeigt. Er hat wie ich viele, viele Jahre auf der Ersatzbank gesessen. Aber ein Turnier ist eine ganz spezielle Situation, da kommt auf den Torhüter eine große Drucksituation zu. Aber er wird mit all seiner Erfahrung - er ist ja wie ich 36 - der Situation gewachsen sein.«
Nach vielen aufmunternden Worten von Nationalelf-Kollegen und einer weiteren Nacht des einsamen Grübelns stand Kahns Entschluss gestern endgültig fest. »Ich bin Sportler, ich bin Wettkämpfer. Da muss man auch die Fähigkeit besitzen, verlieren zu können, einstecken zu können. Ich habe mich noch nie klammheimlich verdrückt. Das passt nicht zu mir«, sagte Kahn, dessen Traum von seiner zweiten WM als deutsche Nummer 1 am vergangenen Freitag von Bundestrainer Jürgen Klinsmann zerstört worden war. Statt seinem Frust Luft zu machen, übte Kahn nicht einmal Kritik an Klinsmann, den er vorab unterrichtet hatte.
»Ich habe für meine Ziele immer sehr konsequent gearbeitet. Aber das heißt nicht, dass ich nicht verlieren kann«, erklärte Kahn. Ausgerechnet der bisweilen überehrgeizige »Titan« will sich bei der Heim-WM in eine Nebenrolle fügen. Mit seinem gestrigen Auftritt widerlegte er auch vorerst Klinsmann, der noch am Sonntag gemutmaßt hatte, dass Kahn »vom Typ her keine Nummer 2« sei. »Ich habe sowohl 1994, 96 und 98 bei Welt- und Europameisterschaften auf der Bank gesessen. Ich war sechs, sieben Jahre lang die Nummer 2 in der DFB-Elf«, betonte der 84-malige Nationalspieler.
Im Fall des Falles - zum Beispiel einer Verletzung von Lehmann - will er beim Turnier natürlich ins Tor zurück. »Ich bin kein Mensch, der seinem Konkurrenten etwas Böses wünscht. Aber ich werde mich hundertprozentig reinhängen und weiter hart arbeiten. Keiner weiß, was passieren kann«, kündigte der Keeper an.
Für seine Haltung erntete er umgehend Lob von Klinsmann. »Ein Riesenkompliment an Oliver. Seine Erfahrung und seine Bereitschaft, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen und alles dazu beizutragen, dass wir eine erfolgreiche WM spielen, ist von großer Wichtigkeit«, übermittelte der Bundestrainer aus den USA. Team-Manager Oliver Bierhoff äußerte sich ähnlich: »Oliver Kahn hat wieder einmal bewiesen, dass er ein großer Sportsmann ist.«
Kahn räumte sogar ein, dass nach der Torwart-Entscheidung viel Druck von ihm abgefallen sei. Er richtete aber zugleich einen deutlichen Appell an alle WM-Beteiligten in Deutschland: »Es sollte jetzt auch vorbei sein mit Kahn und Lehmann und den Spekulationen. Wir sollten endlich eine positive Stimmung für das Mega-Ereignis WM erzeugen. Es darf nicht um persönliche Eitelkeiten, Belange und Schicksale gehen.«

Artikel vom 11.04.2006