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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Mit dem morgigen Palmsonntag beginnt die Karwoche - von althochdeutsch »kara«: »Klage« oder »Trauer«. Ihre tiefste Tiefe erreicht sie am Karfreitag, wenn mit dem erlöschenden Augenlicht des sterbenden Christus sich zugleich der Himmel verdunkelt und die Nacht die Erde in tiefes Schwarz taucht. Jesus war darauf vorbereitet. Von dem triumphalen Empfang beim Einzug in Jerusalem - Lesung am Sonntag Palmarum - hat er sich nicht blenden lassen. Von Mal zu Mal wird es einsamer um ihn. Am Ende haben ihn alle verlassen, und er ist ganz allein. Man wird seinen Körper peinigen, bis sein Herz endlich aufhören darf zu schlagen.
In merkwürdigem Kontrast dazu steht ein Wort aus dem sogenannten hohenpriesterlichen Gebet des Johannesevangeliums, Joh. 17: »Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche.« Eine abgeklärte, geradezu feierliche Sprechweise, als bereite sich jemand innerlich auf einen festlichen Anlaß vor, auf den Höhepunkt seines Lebens gar. Das könnte den Eindruck erwecken, Christus hätte nicht wirklich gelitten, sondern nur zum Schein, und über die Schmerzen und Qualen wäre er von vornherein erhaben gewesen.
Doch, was vorangeht, spricht dagegen. Der Evangelist Johannes schildert über fünf Kapitel hinweg, wie Jesus sich aus diesem Leben verabschiedet und von den Seinen Abschied nimmt. Der Passionsweg, heißt das, ist lang. Er beginnt nicht erst, als man den Herrn gefangennimmt, abführt, verurteilt, auspeitscht und hinrichtet. Bereits eine weite Strecke zuvor trägt Christus daran in seinem Inneren, ringt und kämpft und bereitet sich selbst und seine Jünger darauf vor- bis der Ernstfall eintritt. Da wird er ganz still, legt in gesammelter Ruhe sein weiteres Geschick in die Hände Gottes und ist von einem Frieden umfangen, der nicht aus irdischen Quellen stammt.
Bedeutungsschwer beginnt Jesus sein Gebet mit den Worten: »Vater, die Stunde ist da.« Oft hat er auch früher von der »Stunde« geredet, die da oder eben auch noch nicht da war. Es gilt - sagt er damit - Gottes Zeit abzuwarten und seinen Willen zu erkennen. Aber immer mehr erschließt sich in diesem Prozeß für ihn etwas Dunkles und zugleich etwas Lichtes: Es geht ans Sterben und in einen grausamen Tod; der Weg durch einen Abgrund und nicht daran vorbei. Aber dahinter stehen nicht nur feindliche Menschen und finstere Mächte, sondern ein göttliches Muß. Das ist zunächst unbegreiflich, auch für Jesus; denn selbst in ihm muß dazu die nötige Einsicht und Bereitschaft erst wachsen. Das mindert indessen seine Größe nicht, sondern es ist geradezu hilfreich zu sehen, daß auch er seinen, ihm von Gott bestimmten Weg erst finden und ihm zustimmen muß.
Damit ist er den Menschen nahe, die Gott in ihrem Leben aufgrund bestimmter Erfahrungen nicht mehr verstehen, denen er fremd, fern und unzugänglich erscheint, deren Gebete scheinbar ohne Antwort bleiben, und deren Glaube zu zerbrechen droht. Es gibt solche Lebensphasen, die einem aber, ohne daß man es selber schon begriffen hat, notwendig sind. Keiner jedoch ist darin wirklich allein. Christus geht mit in sie hinein und ist einem darin unsichtbar zu Seite. Vor allem handelt es sich dabei um Durchgänge, die zwar Schritt für Schritt passiert werden müssen und nicht abgekürzt werden dürfen, aber letztlich an ein gutes Ziel führen, das Gott schon längst im Auge hat. Daß Gottes Güte alles trägt und umfängt, auch das Schwere und Unbegreifliche - davon ist Christus durchdrungen. Darum braucht niemals die Aussichtslosigkeit das letzte Wort zu behalten und der Blick nicht auf einen Untergang fixiert zu sein. Sondern immer entsteht etwas Neues, und sogar die enge und dunkle Pforte des Todes eröffnet einen Raum, in dem das Licht nicht mehr erlischt und das Leben nicht mehr vergeht.

Artikel vom 08.04.2006