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Das Stadion ist der Star

Auf einem Thron aus Beton und Geröll: Faszination Allianz-Arena

Von Hans Peter Tipp
München (WB). Kurz nach der Station Freimann kommt Bewegung in den Waggon. »Da«, klingt es plötzlich aus mehreren Kehlen, und schon richten sich ausgestreckte Zeigefinger und neugierige Blicke auf jenes runde Schlauchwerk, das wie ein riesiges aufgepumptes Schlauchboot zwischen zwei Wohnblocks zu sehen ist - die Allianz-Arena.

Der erste Blick auf das Münchener WM-Stadion ist aber nur von kurzer Dauer, denn auf dem Weg der U6 vom Marienplatz zur Stadionstation Fröttmaning versperren schnell wieder hässliche Siebziger-Jahre-Wohnblocks den Blick auf das angebliche Wunderwerk.
Das Ticket in der Jackentasche, den Stadtplan in der Hand - so haben sich auch am Ostersamstag gegen Arminia Bielefeld wieder Fußball- und Stadionfans aufgemacht, darunter dieses Mal rund 7000 mit Herz für oder Wohnort in Bielefeld.
Es gibt dennoch wohl keine Bundesligastadt in Deutschland, in der so viele Auswärtige der Heimmannschaft die Daumen drücken. Schon auf dem Weg ins Stadion wird gefachsimpelt, über Fußball im Allgemeinen, über den FC Bayern im Besonderen und - natürlich - aus gegebenem Anlass - über den FC Chelsea und Michael Ballack. Am vergangenen Samstag aber spielte der wechselwillige deutsche Nationalspieler noch einmal im roten Vereinstrikot in München vor. Es wird wohl das drittletzte Mal gewesen sein.
Dann gibt endlich eine quäkende Lautsprecherstimme bekannt: »Fröttmaning«, und es heißt aussteigen. Die Zeltkonstruktion über dem U-Bahnhof wirkt wie eine letzte Reminiszenz an vergangene Zeit, wie ein »Servus« ans Olympiastadion. Denn wenige Meter weiter zieht die neue Arena alle Blicke auf sich. Noch auf der Brücke, die über die Gleise führt, werden erste Erinnerungsfotos »geschossen«. Abwechselnd postieren sich die Menschen vor der Silhouette des noch weit entfernt liegenden Stadions, das sich auf einem Thron aus Geröll und Beton hinter einem alten Straßenbahndepot im Vordergrund erhebt. Sonderlich schön dürften diese Schnappschüsse später nicht ausschauen, Dokumente à la »Die Arena und ich« sind sie allemal.
Gute zehn Minuten dauert der Fußweg bis an die Stadionpforte - zunächst an einem großzügig angelegten Busparkplatz vorbei. Fahrzeug an Fahrzeug drängelt sich dort, selbst für das Spiel gegen Arminia Bielefeld kommen sie aus allen Landesteilen.
Die zum Stadion führenden Betonbänder wirken dagegen wie eine Fußgänger-Autobahn. Es ist öde in Fröttmaning: Das triste Beton-Grau der Umgebung fördert allerdings die futuristische Wirkung der Schlauch-Konstruktion, die an diesem Tag nicht rot leuchtet, sondern schlichtes Weiß trägt. Etwas Grün täte dem Ganzen gut. Vielleicht wird ja die Zeit bis zur WM-Eröffnung es richten, denn auch in München soll es irgendwann Frühling werden.
Vereinzelt werden noch Karten gesucht, obwohl ein Münchener ahnt, dass diese Suche heuer nicht zum Erfolg führen wird: »Wer sich gegen Bielefeld eine Karte kauft, der spekuliert nicht darauf, dass er vor dem Spiel damit ein Geschäft macht. Der geht auch ins Stadion.« Er will es trotzdem versuchen, »weil er plötzlich Besuch bekommen habe und der unbedingt das Stadion sehen« wolle.
Der wahre Star in München ist zurzeit eben die Arena, und auch viele Arminia-Fans waren in erster Linie gekommen, um zu Hause erzählen zu können, dagewesen zu sein. Die Begeisterung über die kühne Konstruktion verschlug vielen tatsächlich den Atem. »Gigantisch, überwältigend«, meinte Sven Wortmann aus Bielefeld, als er im weißen Trikot »seiner« Arminia auf den Anpfiff wartete.
»Es ist schon imposant. Wir waren kürzlich erst in Frankfurt, das war schon großartig, aber hier beeindruckt das Stadion umso mehr«, waren Reiner und Silvia Grimm, Arminia-Fans aus Offenbach, einer Meinung. Udo-Thomas Rieck aus Bad Salzuflen fühlte sich noch mehr angezogen als andernorts: »Ich finde den Innenraum sehr gut und besser als auf Schalke, weil hier das Stadion offener ist.« Von außen allerdings bezeichnete er die Arena als gewöhnungsbedürftig: »Die asphaltierten Flächen wirken auf mich wie eine Krankenhausauffahrt.«

Artikel vom 18.04.2006