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Eine Legende der Modewelt

Vivienne Westwood wird 65 und tanzt noch immer auf dem Laufsteg

Hamburg (dpa). Sie gilt als lebende Legende und vor allem auch als geniale Provokateurin. Die Designerin Vivienne Westwood kann - wie im Februar anlässlich einer Ausstellungseröffnung ihr zu Ehren in der Modestadt Düsseldorf - auch heute noch einen unglaublichen Menschenauflauf verursachen.
Fast wie damals, als die »Mutter des Punk« in den 70er Jahren, behängt mit Ketten und Vorhängeschlössern und im Gummi-Negligé, in London beinahe den Verkehr zum Erliegen brachte. An diesem Samstag wird die Modeschöpferin 65 Jahre alt.
Die Ideen der Britin - wie etwa die, BHs über Oberteilen zu tragen - sind so oft kopiert worden, dass sie manchmal anderen Designern zugeschrieben werden. »Mode hat immer etwas mit Sex zu tun« und »Man hat ein viel besseres Leben, wenn man beeindruckende Kleidung trägt«, lauten zwei typische Westwood-Sätze. Auffallen will ihre Kundin in jedem Fall, auch wenn sie dafür manchmal aussehen muss, als sei sie einem Kostümfest entsprungen. Vivienne Westwood liebt die gründliche Auseinandersetzung mit historischen Epochen, Barock und Rokoko oder dem viktorianischen Zeitalter. Kaum jemand vermag es wie sie, alte Schnitte auseinanderzunehmen, um sie neu und ungewohnt zusammenzusetzen.
Modegeschichte schrieben etwa ihre Kollektionen »Pirates« (1981), die eine Romantik-Welle auslöste, »Harris-Tweed« (1987), die traditionelle Elemente weiblicher Mode wie Korsett und Krinoline mit mädchenhaft interpretierter Herrenschneiderei verband oder »Anglomania« (1993), bei deren Präsentation selbst das laufstegsichere Top-Model Naomi Campbell auf ihren Schwindel erregenden Absätzen ins Straucheln geriet. Doch sah sie in ihrer Samtjacke und dem Karorock dabei derart entzückend aus, dass der Sturz sowohl ihr als auch der Designerin zusätzliche Popularität verschaffte.
Hohe Absätze, ein hoch geschnürter Busen und betonte Hüften, das sind bis heute Ingredienzen der Westwood-Mode. Frauen sollen damit ihre erotische Anziehungskraft bewusster wahrnehmen. Westwood selbst, die als Vivienne Isabel Swire 1941 als ältestes von drei Kindern in der nordenglischen Kleinstadt Glossop geboren wurde, zog sich schon als Jugendliche auffallend an. Nach einer Ausbildung zur Grundschullehrerin in London heiratete sie 1962 den Steward Derek Westwood und bekam einen Sohn. Doch schon bald wurde ihr das Leben als Hausfrau zu eng. 1965 verließ sie ihren Mann. Sie tat sich mit dem Kunststudenten Malcolm McLaren zusammen und verkaufte mit ihm ab 1971 subversive Mode in einem Laden an der King's Road. Der Punk-Stil war geboren. Modische Eigenständigkeit entwickelte Westwood jedoch erst, als sie sich von McLaren getrennt hatte. Sie beschäftigte sich nun mit Modegeschichte und verband diese mit ihrer unkonventionellen Sichtweise.
Heute wird Vivienne Westwood zu den bedeutendsten Designern der Welt gezählt. Sie herrscht über ein kleines Imperium mit Herren- und Damenmode, Accessoires und Parfüm. Nebenbei unterrichtete sie jahrelang als Gastprofessorin in Berlin. Und wäre da nicht die Ehe mit dem Jahrzehnte jüngeren Designer Andreas Kronthaler, so könnte man die rotgelockte Engländerin fast für eine etwas biedere Matrone halten. Aber eben nur fast, denn auf dem Laufsteg tanzt sie immer noch zu Rockmusik.

Artikel vom 08.04.2006