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2003 gab's erste
Hinweise auf
falschen Lehrer

Angeklagtem droht zweiter Prozess

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Das Bielefelder Jugendamt hat bereits 2003 Hinweise auf den mutmaßlich pädophilen Pflegevater Michael N. (46) aus Lemgo bekommen. Das wurde am Freitag vor dem Landgericht Detmold bekannt. Erst zwei Jahre später waren dem Tischler die Pflegekinder weggenommen worden.
Tischler Michael N. mit einem seiner Pflegekinder aus Bielefeld.
Michael N. steht seit Donnerstag wegen Kindesmissbrauchs vor Gericht. Er soll drei Mädchen aus Bielefeld, die ihm vom Jugendamt anvertraut worden waren, sowie die Tochter seiner Lebensgefährtin über Jahre missbraucht haben. Mit gefälschten Unterlagen war es dem Handwerker mit Hauptschulabschluss gelungen, sich als Lehrer auszugeben.
»Er hatte mir ein Schreiben der Uni Bonn vorgelegt, das ihm den Abschluss eines Pädagogik-Studiums bescheinigte«, berichtete am Freitag eine Sozialarbeiterin (49) der AWO Bielefeld vor Gericht. Die AWO hatte im Auftrag des Jugendamtes die Kinder in die Familie vermittelt. Dass die Unterlagen, die Michael N. präsentiert hatte, gefälscht waren, konnten offenbar weder AWO noch Jugendamt ahnen. Michael N. wurde für besonders geeignet gehalten: »Sonst hätten wir ihm nicht vier Pflegekinder anvertraut.« Für die Betreuung dieser Kinder hatten Michael N. und seine Lebensgefährtin in drei Jahren 157 000 Euro bekommen, wie das Gericht am Freitag erörterte. Jugendamt und AWO waren übrigens nicht die einzigen Einrichtungen, die der Mann getäuscht hatte: Für den Verein »Friedensdorf Oberhausen« betreute der angebliche Pädagoge ausländische Kinder mit Kriegsverletzungen, die im Krankenhaus Lemgo behandelt wurden. In der Gesamtschule Lemgo, die die Pflegekinder besuchten, durfte N. nach Vorlage entsprechender Papiere ehrenamtlich eine Technik-AG anbieten, an einer Detmolder Grundschule beaufsichtigte er nachmittags Schülerinnen und Schüler.
Im März 2003 hatten Bekannte des Tischlers gegenüber dem Bielefelder Jugendamt einen ersten Verdacht geäußert. Michael N. sollte bei einer Grillparty erzählt haben, er stehe auf kleine Mädchen. Er soll mehrfach Pflegetöchter zu sich ins Ehebett geholt und eines der Kinder bei einer Erkrankung im Genitalbereich eingecremt haben. »Das Jugendamt hat diese Hinweise an uns weitergegeben«, erklärte eine Sozialpädagogin (50) der AWO. Man habe die Sache ernst genommen , die Familie alle zwei Wochen besucht und immer wieder Einzelgespräche mit den Pflegekindern geführt. »Dabei ergab sich aber nicht der kleinste Hinweis, dass die Vorwürfe stimmen«, sagte die Zeugin.
Erst im April vergangenen Jahres hatte sich ein heute zehn Jahre altes Mädchen seiner Pflegemutter anvertraut. »Die Kinder hatten lange geschwiegen, weil der Mann ihnen erklärt hatte, die von ihm vorgenommenen Handlungen seien für Kinder normal. Außerdem hatte er die Mädchen mit Gruselgeschichten subtil unter Druck gesetzt«, sagte die Anwältin der Kinder, Heike Klockemann.
Die Staatsanwältin will die Anklageschrift gegen Michael N. in den kommenden Tagen erweitern. Denn die von einem der Mädchen hinter geschlossenen Türen geschilderten wiederholten Vergewaltigungen waren bislang nicht bekannt und stehen deshalb nicht in der urspünglichen Anklage.
Der Prozess geht am 28. April weiter. Bis dahin wird eine Diplom-Psychologin ein Glaubwürdigkeitsgutachten zu den beiden Mädchen erstellen, deren Aussagen von den bisherigen Schilderungen bei der Polizei abweichen.

Artikel vom 08.04.2006