18.04.2006
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»Na ja, jedenfalls hast du dir eine gute Zeit ausgesucht für deine Bewusstlosigkeit. Jetzt ist zwar alles geregelt, es war aber doch ziemliche Endzeitstimmung. Mutter hat É na ja, das siehst du dann ja selbst. Sie hat jedenfalls ernsthaft daran gedacht, Amaurot zu verkaufen.«
»Verkaufen?« Ich stützte mich auf den Ellbogen. »Mutter würde nie verkaufen! Was hast du ihr erzählt? Hast du ihr etwa irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt?«
»Ich habe ihr keine Flausen in den Kopf gesetzt, Charles. Du weißt selbst, dass sie hier seit Vaters Tod nicht mehr glücklich war, wie elend und verloren sie sich in diesem riesigen leeren Anwesen gefühlt haben muss. Und zur gleichen Zeit kaufen um uns herum diese Computermenschen alles auf. Praktisch jede Woche steht einer vor der Tür und macht sein Angebot - wahnwitzige Angebote, Summen, die auf einen Schlag für alle Schulden gereicht hätten, plus für ein Häuschen auf dem Land, in das sie sich hätte zurückziehen könnenÉ«
A
»Wir werden den alten Ballsaal wieder aufmachen und da die Bühne einbauen. Wir warten nur noch darauf, dass die Bauarbeiter aus Tibet zurückkommen. Ist das nicht wunderbar, Charles? Schluss mit der Rumhechelei von einem Vorsprechtermin zum anderen, wir können spielen, was wir wollenÉ« Sie stand auf, tänzelte mit vor der Brust verschränkten Händen durchs Zimmer und fing an, Stücke und Dramatiker, Projekte und Strategien herunterzurasseln. Darin kamen unheilvoll nebeneinander stehende Worte wie Künstler und Wohnort, wie jede Menge Platz und Gemeinschaft vor. Und währenddessen saß ich da, mein Kopf blubberte unter dem Verband wie ein gewaltiger Pudding, und von der gegenüberliegenden Wand verspottete mich das Poster - Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens.
»Das ist doch absurd.«
»Aber wir haben schon alles durchgesprochen«, sagte sie. »Du weißt, dass wir das Haus nicht halten können, so wie es ist. Das weißt du genau. Wir müssen uns umstellen, oder wir verlieren es.«
»Ich verstehe nicht, wie der Umbau in ein Theater irgendwem helfen soll.«
Sie zögerte kurz und schlängelte sich dann vorsichtig zurück zum Bett. »Na ja, es wird kein normales Theater«, sagte sie. »Es soll ein Ort für Menschen sein, die sonst nicht mal in die Nähe eines Theaters kommen. Sie können hier lernen, sich selbst auszudrücken. Wir wollen, dass Menschen aus unterprivilegierten Schichten herkommen und bleiben können undÉ«
Mein Kopf fiel zurück aufs Kissen. »Bist du noch bei Sinnen? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie es in unserer Gesellschaft zugeht?«
»Ich weiß, es klingt komisch.« Sie streckte flehend den Arm aus. »Hör mir bitte einfach nur zu, okay? Es gibt einen guten Grund dafür. Ich hab das mit Geoffrey durchgesprochen. Er sagt, wenn wir uns richtig präsentieren, dann hätten wir Anspruch auf jede Menge staatlicher Zuschüsse. Wir bieten Menschen unsere Hilfe an, dann kommt der multikulturelle Aspekt dazu, wegen Mirela, weil sie vom Balkan kommt. Wenn das Theater Erfolg hat, könnten wir vielleicht sogar erreichen, dass Amaurot als gemeinnütziger Verein anerkannt wird. Denk doch mal nach, Charles. Wir könnten immer hier bleiben, wir bräuchten uns keine Sorgen mehr zu machen wegen Banken oder Gläubigern oder UnterhaltskostenÉ« Sie lehnte sich zurück und schaute mich ernst an. »Mal abgesehen vom Geld ist das auch eine Chance, dass Amaurot wieder bekannter wird, dass es wieder für etwas steht. Das wolltest du doch immer, oder? Und es würde für etwas Gutes stehen. Wir haben zahllose Möglichkeiten, wenn man erst mal genauer drüber nachdenkt. Wir können Unterricht geben, Schauspielunterricht, für die Kids aus der Stadt; sie kommen für einen Tag hier raus undÉ«
»Warum so bescheiden?«, sagte ich. »Reiß die Tore doch gleich ganz auf. Wir könnten Führungen veranstalten: ÝUnd hier sehen Sie das Schlafzimmer von Charles Hythloday. Dies ist das Album mit den Briefmarken, die er als Kind gesammelt hat. Ich darf Sie bitten, keine Zigaretten darauf auszudrückenÉÜ«
Draußen auf dem Gang läutete eine Glocke. Seufzend nahm Bel ihre Jacke von der Stuhllehne. »Du musst eins begreifen, Charles«, sagte sie. »Wir sind nicht mehr reich. So einfach ist das. Leben auf Amaurot hieße ums nackte Überleben kämpfen; das ist, wie auf einer kleinen Insel zu sitzen und immer weiter vom eigentlichen Leben abgetrieben zu werden.« Sie holte tief Luft und atmete wieder aus. »Das ist eine gute Sache, sieh das doch ein«, sagte sie und legte mir eine Hand auf den Arm. »Auf diese Weise können wir das Haus halten, und wir können alle zusammenbleibenÉ«
Trotz meines derangierten Geisteszustands fiel mir auf, dass das seit unserem unbeabsichtigten Tete-a-Tete im Dunkeln das erste Mal war, dass sie mich berührte - sie reichte mir den Ölzweig. Aber so leicht würde ich mich nicht kaufen lassen. Ohne zu antworten, wandte ich den Kopf zur Seite und fixierte mit starrem Blick den Zipfel Himmel, der im Fenster noch zu sehen war. Schließlich nahm sie die Hand von meinem Arm, und ich hörte das Knarzen des Stuhls. Sie stand auf und ging.
D
In jener Nacht jedoch - der ersten, die ich nach meiner Daseinslücke wieder auf Erden verbrachte - konnte ich nicht schlafen. Ich lag stundenlang wach und starrte auf den Wall der um mich herum aufgebauten Bildschirme und Kontrollgeräte, die piepsend in Diagrammen und Impulsen die unsägliche Geschichte meines Körpers erzählten.
Artikel vom 18.04.2006