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Kinder schildern Gericht
jahrelangen Missbrauch

Pflegevater legt Teilgeständnis ab - neuer Verdachtsfall

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Bewegende Szenen gestern im Landgericht Detmold: Vor Saal 165 drückte ein Mädchen (10) weinend sein Kuscheltier an sich, ein anderes (13) schluchzte in den Armen seiner Mutter. Die beiden Kinder und zwei weitere Mädchen sollen von ihrem Pflegevater Michael N. (46) missbraucht worden sein, der seit gestern vor Gericht steht.

Zum Auftakt gestand der Tischler aus Lemgo, seine Umwelt jahrelang mit gefälschten Zeugnissen getäuscht zu haben. »Es war immer mein Traum, Lehrer zu sein.« Der Handwerker mit Hauptschulabschluss gab sich als Pädagoge aus, belog auch seine Lebensgefährtin Bettina J. (39): »Er sagte, er habe zwei Jahre in den USA studiert.« Mit Hilfe der gefälschten Unterlagen war es Michael N. und seiner nichtsahnenden Lebensgefährtin gelungen, vier Pflegekinder aufzunehmen. Drei dieser Mädchen sowie eine Tochter seiner Lebensgefährtin soll der Tischler über Jahre missbraucht haben. Die Kinder sollen zu Beginn sieben, acht und neun Jahre alt gewesen sein.
Andreas Scharmer, einer der beiden Verteidiger, verlas eine Erklärung des Angeklagten, in der dieser zugibt, zwei Kinder zweimal im Genitalbereich berührt zu haben. »Mehr war nicht!« Das nahm der Vorsitzende Richter Michael Reineke dem Angeklagten nicht ab. Er befragte gestern die vier Mädchen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und auch der Angeklagte musste den Saal verlassen. »Die Kinder schlafen seit Tagen nicht mehr, weil sie Angst haben, dem Mann vor Gericht zu begegnen«, erklärte Anwältin Heike Klockemann, die die Kinder vertritt. Die jungen Zeuginnen schilderten, zum Teil unter Tränen, hinter geschlossenen Türen jahrelangen Missbrauch. Richter Reineke anschließend: »Das heute zehnjährige Mädchen hat uns beispielsweise viele Einzelheiten beschrieben, und die Darstellung deckt sich mit dem, was das Kind bei der Kripo und der Gutachterin ausgesagt hatte.«
Dieses Mädchen hatte sich im vergangenen Jahr als erstes der Pflegemutter Bettina J. offenbart. »Als ich darauf meine eigene, 16-Jährige Tochter fragte, ob sie sich so etwas vorstellen könne, brach die in Tränen aus und schluchzte, sie habe dasselbe erlebt«, schilderte Bettina J. gestern. Damals hatten dann auch die anderen beiden Mädchen »ausgepackt«. Bettina J. hatte sofort die Behörden informiert. Von den angeklagten Taten hatte sie nichts mitbekommen, weil sie als Raucherin oft im Wohnzimmer schlief: »Michael nahm an Wochenenden immer eines der Mädchen zu sich ins Ehebett - angeblich, um dem Kind dort mit einem Fernsehabend eine Freude zu machen.«
Vor Gericht wurden gestern Anhaltspunkte für mögliche weitere Missbrauchsfälle bekannt. So hatte Michael N. Ende der 90er Jahre in Herford einer Asylbewerberfamilie ein von ihm gefälschtes Schreiben des Herforder Jugendamtes vorgelegt. In dem Brief befürwortet das Amt, dass die Flüchtlingsfamilie ihre Tochter über die Wochenenden zu Michael N. in Pflege gibt - was die Eltern auch taten. Bis heute ist nicht geklärt, was sich an den Wochenenden abgespielt hat.
Der Prozess geht heute weiter.

Artikel vom 07.04.2006