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Horst Köhler

»Wir müssen zuhören , wenn es uns ernst ist mit der Armutsbekämpfung in Afrika«.

Leitartikel
Köhler findet seine Rolle

Afrikas Teufelskreis aufbrechen


Von Reinhard Brockmann
»Liebe Gäste, liebe Neger«: So alt wie falsch ist dieser Bundespräsident Heinrich Lübke in den Mund gelegte Redebeginn bei einem Staatsbesuch in Afrika.
40 Jahre später ist alles anders: Der Blick der Deutschen auf Afrika ist entzaubert und von Chaos und Kriegen geprägt. Der amtierende Bundespräsident ist nicht wohlwollende Vaterfigur aus vermeintlich besseren Breiten, sondern ein ausgewiesener Experte für Können, Defizite und zumutbare Selbstverantwortung afrikanischer Staatsführer. Und schließlich befindet sich Bundespräsident Horst Köhler bei seinem zweiten Staatsbesuch und - frühere Aufgaben mitgerechnet - 12 Dienstreisen nicht auf Sightseeing-Tour, sondern besucht Vorzeigestaaten.
Mosambik, Madagaskar und Botswana haben sich aus dem Teufelskreis von Armut, Krankheit und Bildungsnot befreit. Dass Afrika nicht nur der Kontinent der Krisen ist, sondern Europa manches vom Nachbarkontinent lernen kann - davon ist Köhler zutiefst überzeugt.
Am Tage seiner Wahl hat Bundespräsident Köhler Afrika zum zentralen Thema seiner Amtszeit entwickelt. Schon seine erste große Auslandreise galt dem Schwarzen Kontinent. Im Herbst startete er in Bonn die »Initiative für Afrika« - eine Art Denkfabrik für Ideen, bei dem sich Reformer und Beharrer, Staatslenker und Bürgergesellschaft treffen sollen, um eigene afrikanische Wege zu diskutieren.
Nicht Folklore, sondern ein politisches Konzept bestimmt Köhlers Kurs. Nicht ohne Grund steuert er zum Beispiel Botswana an. Die »Schweiz Afrikas« ist auf Entwicklungshilfe nicht mehr angewiesen. Sie hat sogar - wer weiß das eigentlich? - schon Hilfsgelder zurückgezahlt. Das Vorzeigeland für eine nachhaltige und reformorientierte Politik hat einen hohen Bildungsstand - aber auch die höchste Aids-Rate der Welt.
Wer würde auf Madagaskar schauen, wenn Köhler unseren Blick nicht dorthin lenkte? Das ökologisch einmalige Eiland tritt nach dem Bürgerkrieg bei der Bekämpfung der Armut auf der Stelle.Ê Mehr als zwei Drittel aller Madegassen müssen von weniger als einem Dollar pro Tag leben, das Gesundheitssystem ist für Arme unzugänglich. Dennoch bemüht sich die Führung nach Kräften um »good governance«, anständige Staatsführung.
Köhler hat, das wird immer deutlicher, mit Afrika seine Rolle als Bundespräsident gefunden. Als Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) habe er, so sagt er selbst, bei einem Besuch in Mosambik »begriffen, dass die internationale Gemeinschaft zuhören muss, wenn es ihr ernst ist mit der Armutsbekämpfung«.
Nicht vorgeben, sondern fördern und dann auch fordern. So reserviert seine Gastgeber ihm damals gegenübertraten, so erkannten schon seinerzeit viele Afrikaner, dass selbst IWF-Bosse nicht Kapitalismus pur predigen, sondern faire Partner sein können.
Heute lehrt Köhler vor allem die Deutschen, wieder unvoreingenommen auf Afrika zu schauen.

Artikel vom 08.04.2006