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Fußball-WM ist ein religiös
aufgeladenes Großereignis

Viele Parallelen zwischen dem Glauben an Gott und dem an den Verein

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Stadien werden zu Tempeln, Fußballfans zu Pilgern, Spieler zu Halbgöttern. Vor entscheidenden Begegnungen beten die Anhänger um den Sieg, zünden in der Kirche eine Kerze an. Fußball-Weltmeisterschaften sind religiös überhöhte sportliche Großereignisse. Religion verbindet die Menschen mit Gott, Fußball eint die Nation. Die in vielen Details sichtbaren Gemeinsamkeiten hat der Religionslehrer Franz-Josef Scheidhammer in seiner Projektmappe »Kicker, Kutten und Choräle« zusammengefasst.

Die Mappe entstand, als Scheidhammer in der Knaben-Realschule im bayerischen Straubing unterrichtete. Die rechtzeitig zur WM aktualisierte Neuauflage eignet sich für den Religionsunterricht in den Klassen 6 bis 9.
Es sei hilfreich, Umwege zu gehen, um Schüler für Religion zu interessieren, sagte der 32-Jährige dieser Zeitung. Fußball fange religiöse Grundbedürfnisse des Menschen auf. »Wie keinen anderen zeichnen starke Gesten und gemeinschaftsbildende Rituale wie die La-Ola-Welle diesen Sport aus«, betont Scheidhammer. Fußball sei sehr gefühlstrunken, der Fan erlebe etwas, was ihn selbst übersteigt.
»Wo euer Herz ist, da ist euer Gott«, zitiert Scheidhammer in den Unterrichtsmaterialien Martin Luther. Für einige Menschen ist Fußball das Wichtigste im Leben. Die Stars ihrer Mannschaft lieben sie fast schon abgöttisch. Umgekehrt suchen Spieler Halt beim Schöpfer. So wie Gerald Asamoah (Schalke 04): »Es ist das Beste, mein Vertrauen ganz auf Gott zu setzen.« Glaube hilft im Leben wie auf dem grünen Rasen. Der ehemalige Bayern-Profi Paulo Sergio berichtete, dass die Brasilianer in der Halbzeitpause des WM-Endspiels 1994 gegen Italien in der Bibel lasen und anschließend das ungünstig verlaufene Match noch gewannen.
Aus dem »täglichen Gespräch mit Gott« schöpfe er seine Kraft, bekannte der langjährige Trainer des FC Bayern München, Ottmar Hitzfeld. Sowohl in der Kirche als auch im Stadion seien Lieder wichtig, schreibt Scheidhammer und verweist auf den Musikwissenschaftler Rainer Kopiez, der die Gesänge der Fans untersucht hat. Demnach sollen sie höhere Mächte um Unterstützung für den Club bitten und der Mannschaft Kraft und Mut geben. Es gibt weitere Parallelen zwischen Religion und Fußball: Gott beruft Propheten, Trainer Nationalspieler. Journalisten kupfern Textstellen aus der Bibel ab und rufen nach dem Retter. Die Überhöhung von Menschen, die besser mit dem Ball umgehen können als andere, machen sich Vereinsfunktionäre und Werbeagenturen zunutze. Inter Mailands Hauptsponsor, der Reifenhersteller Pirelli, ließ Ronaldo nach dem Vorbild der Erlöserstatue von Rio de Janeiro fotografieren. Ein Mensch wurde zum Fußball-Jesus hochstilisiert.
Ähnlich wie die Zuschauer für die Nationalelf aufstehen, erheben sich in der Kirche die Christen vor Gott, vergleicht Franz-Josef Scheidhammer. Für die Fußball-»Andacht« daheim und auf den Rängen verwendeten die Fans Devotionalien wie Schals, Mützen, Trikots und »Kutten« mit Aufnähern. Das Wembley-Stadion galt bis zu seinem Abriss als »Mekka« des englischen Fußballs. Scheidhammer folgert: »Kirchen sind nicht die einzigen riesigen Bauwerke, die den Glauben an eine Sache und die Begeisterung für etwas ausdrücken. Auch Fußballstadien sind oft gigantisch und machen deutlich, wie wichtig der richtige Rahmen für ein Spiel ist.«
Wenn Fans ihre Stars vergöttern, ist es bis zur Blasphemie nicht weit. Im »Schalke Unser« heißt es: »Schalke unser im Himmel, du bist die auserkorene Mannschaft; verteidigt werde dein Name, dein Sieg komme wie zu hause so auch auswärts.« Für einige sei Fußball eine »Ersatzreligion«, bekannte Pfarrer Matthias Jung aus Voerde in seiner Predigt zur Fußball-WM 1998 in Frankreich. Und Religionslehrer Scheidhammer ist sich sicher, dass er vom 9. Juni bis 9. Juli 2006 wieder religiöse Sprachbilder zu lesen und zu hören bekommt: »Costa Rica wird in die David-Rolle schlüpfen, und für das Klinsmann-Team wird es vermutlich die Hölle sein, sollte es schon in der Vorrunde scheitern.«
Die Projektmappe für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe I kann beim Verlag an der Ruhr in Mülheim unter Telefon 0208/4395450 bestellt werden.

Artikel vom 21.04.2006