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Was ist los?«, fragte ich.
»Was soll los sein?«, fragte sie einfältig.
»Du bist so zappelig, als würdest du gleich aus der Haut fahren.«
»Ich freu mich bloß, dass es dir gut geht, das ist alles.«
»Schön wärÕs«, sagte ich. »Es ist doch nichts passiert, oder?« Ein schrecklicher Gedanke schoss mir durch den Kopf. »O Gott, du hast doch nicht etwa Frank geheiratet, oder?«
»Spinnst du?«, sagte sie, machte eine verächtliche Handbewegung, beruhigte sich aber gleich wieder. »Reden wir lieber von dir? Wie gehtÕs dir? Wie fühlst du dich?«
Ich kniff misstrauisch die Augen zusammen. Sie legte die Stirn in Falten, was ich als einigermaßen gelungene Geste der Aufmerksamkeit durchgehen lassen konnte. »Ich fühle mich gut«, sagte ich. »AllerdingsÉ«
»Es gibt so viel zu erzählen, Charles, es ist so viel passiert, seit du hier drin bist, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen sollÉ«

Ich wusste es. »Fang irgendwo an«, sagte ich und rutschte mit dem massigen Kissen im Kreuz etwas nach oben. Mir wurde allmählich unwohl.
Sie holte tief Luft. »Es geht ums Haus«, sagte sie. »Wir machen ein Theater draus.«
»Ein was?«, sagte ich. »Ein Theater?«
»Ist das nicht herrlich?« Ihre Augen explodierten wie Leuchtkugeln. »Wir machen den Kirschgarten undÉ«
»Moment, Moment É ein Theater? Was meinst du damit, ein Theater? So was wie damals, als Vater und Mutter diese Laienspieltruppe aufgezogen haben? So was?«
»Nein, nein, ein richtiges Theater. Wir bauen eine kleine Bühne und É Charles, die Geräusche, die diese Maschine da macht, die machen mich ganz nervös. Vielleicht warten wir, bis du dich wieder besser fühlstÉ«
»Nein, nein«, sagte ich. Vor meinen Augen tänzelten kleine, giftig sprühende Lichter. »Das ist alles sehr interessant.«
Bel ging zum Fenster und schob es nach oben. »Ich fange am besten ganz von vorn an«, sagte Bel. »Nämlich damit, was passiert ist, nachdem du É nachdem der Turm É Was hast du dir dabei gedacht, Charles? Wolltest du wirklich nach Südamerika verschwinden?«
Ich setzte mich ganz auf. »Also«, sagte ich und drückte mit den Fingern gegen die Umrisse meiner Nase. »Eigentlich habe ich nicht die geringste Lust, das Thema zu erörtern. Nur so viel: Damals habe ich gedacht, dass es eine gute Idee ist. Außerdem hätte es ja auch funktioniert, wenn nicht diese vermaledeite Brut von Mrs PÉ« Ich hielt inne, da mir meine kurze Begegnung mit Mrs Ps Jüngster einfiel. »Wie gehtÕs ihnen?«, fragte ich impulsiv. »Ist sie verletzt? Das Mädchen, meine ich?«
»Mirela«, sagte Bel. »Ihr gehtÕs gut. Anscheinend hast du für alle anderen wie eine Art menschlicher Schutzschild gewirkt.«
»Und was passiert jetzt mit ihnen? Sind sie noch da? Ist das Haus noch da? Und was ist mit der Bank?«
»Das ist genau das, was ich dir zu erzählen versuche. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass das Mädchen, also Mirela É sie ist ja so reizend, Charles, und es tut mir in der Seele weh, dass sie dieses schreckliche künstliche É egal, jedenfalls ist sie Schauspielerin und kann deshalb É äh, das kommt später. Also von vorn: An dem Morgen, nur ein paar Stunden nach der Explosion, ist Mutter aus dem Cedars zurückgekommen. Sie haben sie früher gehen lassen. Das Haus, der Garten, alles war totales Chaos. Keiner von uns hatte geschlafen, auf dem Rasen überall Juwelen und Kunstgegenstände, dann der schwelende Turmstumpen und mittendrin das Klavier, auf dem Kopf, fast kein Kratzer an dem Ding, ist das nicht pervers? Und das Haus voll Polizei, jede Menge Detectives und Uniformierte, die erstens demütigende Fragen nach unserer finanziellen Lage und der Versicherung stellen und zweitens Druck machen, dass wir Mrs P anzeigen sollen. Also hab ich gedacht: Mutter wirft einen einzigen Blick auf das Tohuwabohu, dreht sich auf dem Absatz um und ist schon wieder im Taxi. Aber sie war fantastisch; sie rauscht einfach an allen vorbei und macht sich als Erstes einen Gin TonicÉ«
»Ich hab gedacht, sie darf nichts mehr trinken«, sagte ich überrascht. »Ich meine, war das nicht der Grund, warum sie überhaupt im Cedars war?«
»Das habe ich sie auch gefragt«, sagte Bel. »Sie hat nur was gebrummelt von ziemlich progressiver Laden und so.«
»Oh.«
»Egal, es war jedenfalls die Hölle, jeder wollte was von ihr, und dann hat auch noch Mrs P einen Schock bekommen und musste ins Krankenhaus, und dann hat die bescheuerte Laura angefangen zu heulen und hat volle vier Stunden lang durchgeheult, weil sie ihre Autoschlüssel nicht finden konnte. Aber Mutter, die war die Ruhe selbst, sie hat ein bisschen rumtelefoniert und ein paar Minuten später waren auf einmal alle weg, die Polizisten und alle andern. Wir können wirklich von Glück sagen, was sie alles für Leute kennt. Ich meine, wenn manÕs genau nimmt, müsstest du jetzt nämlich im Knast sitzen.«
»Ich verstehe nicht, was das alles mit dem Theater zu tun hat«, sagte ich. »Oder willst du etwa à la Mickey Rooney in der alten Scheune Shows aufziehen, um der Bank ihr Geld zurückzuzahlen?«
»Die Bank hat ihr Geld«, sagte Bel.
Ich spürte, wie sich mir der Magen umdrehte. »Was?«
»Die Schulden sind bezahlt. Alles erledigt. Keine Versteigerung, nichts.«
»Das gibtÕs doch nicht«, sagte ich. »Wie ist das möglich? Die Hypothek war É Du hast die Zahlen doch gesehen.«

J
a, ja, hab ich. Aber Mutter hat den Steuerberater aufgespürt, Geoffrey, du weißt doch. Er war beruflich unterwegs, irgendeine Insel, den Namen hatte ich noch nie gehört. Egal, auf jeden Fall ist er gleich gekommen, und er und Mutter sind zu dem Bankdirektor gegangen - dem Direktor, Charles. Der Punkt ist, die beiden kennen sich seit Urzeiten. Und die drei haben dann noch irgendeine Rente von Vater ausgegraben, von der keiner was wusste. Bis Mittag hatten die das alles unter Dach und Fach. Ich bin mir vorgekommen wie ein Volltrottel, das kann ich dir sagen.«
»AberÉ« Mir war schwindelig. »Du hast die Konten doch selbst gesehen. Die waren leer. Nichts, null. Wie können die drei dann plötzlich mitÉ«
»Ich weiß, ich verstehÕs ja auch nicht. Aber was sollÕs, danken wir Gott, dass sieÉ«
»Und die Unregelmäßigkeiten, was ist damit? Dieser Bankmensch im Einkaufszentrum hat mir erzählt, das System der Hypothekenzahlungen war völlig chaotisch, da müsste er erst mal nachforschenÉ«
»Keine Ahnung.« Bel trippelte nervös von einem Fuß auf den andern. »Vaters Konten waren ziemlich vertrackt. Vielleicht kannte der Angestellte, mit dem du geredet hast, so was gar nicht. Aber die Hauptsache ist, dass wir aus dem Gröbsten raus sind, wenigstens für den Augenblick. Wir haben noch Schulden, sicher, aber keiner will uns mehr das Haus wegnehmen.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 14.04.2006