11.04.2006
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Die Rennen waren nichts im Vergleich zu denen, die ich mit Frank gesehen hatte. Die Bahn war mit komplizierten Kreidelinien ausgezeichnet, an bestimmten Stellen rund um den Kurs standen Flaggen, und die Hunde hatten schauerlich klingende, okkultistische Namen wie Hekate oder Isis. Die Sonne konnte immer noch ziemlich heiß sein, sodass Yeats darauf bestand, seinen absurden Sombrero zu tragen, unter dessen riesiger Krempe fast sein ganzes Gesicht im Dunkeln lag. Das hieß nicht, dass er die Angelegenheit nicht sehr ernst nahm. Er hatte immer so eine Art Kalender dabei, in den er während der Dauer eines Rennens wie im Fieber hineinkritzelte. Er machte ein großes Geheimnis darum und hielt argwöhnisch den Arm darüber. Ich vermutete, dass es sich um eine Art Rennprogramm handelte. Die wenigen Male, als ich es schaffte, einen Blick über seine Schulter zu werfen, sah ich allerdings nur fremdartige Runen und astrologische Diagramme. Er wollte mir nicht verraten, was sie bedeuteten; genauso wenig, warum er sich anscheinend mehr für das Verhalten der verschiedenen Hunde interessierte als dafür, wer das Rennen gewann. Er beschränkte sich auf geheimnisvolle Bemerkungen über logische Verknüpfungen.
»Was haben logische Verknüpfungen damit zu tun? Das ist ein Rennen, aus. Ich meine, die einzige Frage ist doch, ob diese Shiva da gewinnt, damit wir uns den pompösen Samowar kaufen können, auf den Sie so stehen, oder ob sie nicht gewinnt, in welchem Falle wir uns weiter mit dem gewöhnlichen Teekessel bescheiden müssten.«
»Die Gestalt der Dinge, Charles«, erwiderte er darauf, und ein undurchdringliches Grinsen blitzte unter der Krempe des Sombreros auf. »Ist das nicht die weit interessantere Frage? Wie unterscheiden wir den Tänzer von dem Tanz?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Was anderes É Warum laufen Sie nicht rüber zu einem von den Imbissverkäufern da und holen uns ein paar Hotdogs? Na, wie wärÕs?« Während ich die würzige, warme Wurst kaute, fragte ich mich, nach was für zusätzlichen Informationen er suchte, wo doch alles, was sich ein Mensch nur wünschen konnte, direkt vor uns lag. Sonnengebräunte Einheimische jubelten und rissen die Arme in die Höhe, während die Hunde der Ziellinie entgegenhechelten. Ich schaute nach Westen, wo über dem Ozean die Sonne unterging, und wünschte mir für einen Augenblick, dass Vater jetzt hier wäre und das sehen könnte. Ihm hätte es hier gefallen, hier oben an diesem kleinen Holzgatter, zusammen mit mir und Yeats: alte Jäger, die mit den Göttern schwatzen.
D
Sechs
»Ich?«, sagte Mirela ungläubig und stand vom Tisch auf. »Aber wie kann ich daran schuld sein?«
»Verstehst du denn nicht?«, sagte Bel mit beschwörender Stimme. »Meine Sucht war ein Hilfeschrei. Das Heroin war der Ersatz für die Liebe, die du und, auf einer höheren Ebene, die Gesellschaft mir verweigert haben.«
Mirela stützte sich an der Rückenlehne des Stuhls ab. Das lange Kleid berührte den Boden. »Wie kannst du sagen, dass ich dich nicht geliebt habe?«, sagte sie stockend. »War nicht ich es, die dich all die Jahre gekleidet und genährt hat? War nicht ich es, die immer ihre letzten Schillinge zusammengekratzt hat für deine Schulbücher?«
»Du verstehst mich nicht, Mama«, sagte Bel. »Was dein Unverständnis gegenüber der jüngeren Generation angeht, bist du genau wie die Regierung. Wir brauchen mehr als Methadonkliniken und Wiedereingliederungsprogramme. Wir müssen uns wieder als richtige Menschen respektieren, die so viel wert sind wie alle anderen. Richtig, du hast all das für mich getan. Aber du hast es nie geschafft, die drei kleinen Worte auszusprechen, die für jedes Kind auf der Welt die wichtigsten sind.«
Mirela schien direkt vor unseren Augen zusammenzuklappen. Als sie sich gramgebeugt wieder auf dem Stuhl niederließ, hätte man im alten Ballsaal eine Stecknadel fallen hören - was meine Hoffnung zunichte machte, mal schnell auf ein Regenerierungsschlückchen raus an die Bar zu springen.
»Das ist ein Teufelskreis, Mama«, fuhr Bel fort. »Weil wir so nie gelernt haben, uns selbst zu lieben. Deshalb ist aus Dougie ein Joyrider geworden, einer, der den Kick der Spritztouren mit geklauten Autos brauchte. Das und auch die zeitweise Erlösung durch Drogen ersetzten ihm nicht nur das von der Gesellschaft vorenthaltene Selbstwertgefühl, es hat ihm auch die Flucht aus der Monotonie der Langzeitarbeitslosigkeit erlaubt.«
»Wenn ich das alles nur früher gewusst hätteÉ« Mirela schüttelte traurig den Kopf, wobei ein Wölkchen Talkumpuder von ihrer Perücke aufstieg. »Er hätte keinen so sinnlosen Tod sterben müssen.«
B
»Ich bin stolz auf dich«, sagte Mirela. »Du hast das alles durchgestanden und bist dadurch eine noch stärkere Frau geworden. Das gibt mir Hoffnung für die Zukunft.«
A
I
»Ist Schluss?«, sagte sie.
»Ja«, sagte ich. »Hmm, vielleicht sollte ich ein Schlückchen Scotch dazu nehmen.«
Mrs P griff nach der Flasche. Ich leckte mir die Lippen, als der Flaschenhals den Rand des Glases berührte. »Ach, wissen Sie was, lassen wir das mit dem Soda, und machen Sie mir gleich einen Doppelten«, sagte ich und versuchte das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken.
Mrs P hielt inne und schaute mich misstrauisch an.
»Master Charles, ich glaube, Sie dürfen nicht trinken.«
H
»Das hat er nicht gesagt, Mrs P, vielleicht jemand anders, Mutter vielleichtÉ« Das führte zu nichts. »Kommen Sie, würde ich Sie je anlügen?« Ich drückte flehentlich ihren Arm. »Liebe, gute Frau, glauben Sie das?«
»Master Charles, Sie tun mir weh.«
»Bitte, an so einem besonderen Abend!« Ich bettelte wie im Fieber. »An so einem ganz besonderen Abend!«
Artikel vom 11.04.2006