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Trennung mit Zukunft

»Geh und lebe«: Von Äthopien nach Israel


Was macht die Identität eines Menschen aus? Sein Glaube? Seine Herkunft? Sein soziales Umfeld? Und wie groß muss die Liebe einer Mutter sein, die ihr Kind fortschickt, damit es überleben kann? Im Spannungsfeld dieser Fragen bewegt sich »Geh und lebe«, der neue Film von Radu Mihaileanu (»Zug des Lebens«). Der aus Rumänien stammende, aber vor einem Vierteljahrhundert vor dem Ceaucescu-Regime nach Frankreich geflohene Regisseur und Drehbuchautor riskiert eine Gratwanderung.
Ausgangspunkt seiner Geschichte ist die »Operation Moses«: Mitte der 80er Jahre holte der israelische Geheimdienst tausende äthiopischer Juden, die sogenannten Falashas, nach Israel. Der Film beginnt mit Dokumentaraufnahmen aus riesigen Flüchtlingslagern im Sudan - dorthin hatten sich Hunderttausende Afrikaner aus von Hunger und Dürrekatastrophen heimgesuchten Ländern geflüchtet. Bilder von erschreckender Aktualität, in die der Film überblendet.
Mihaileanu greift die Schicksale zweier Mütter aus dem Massenelend heraus: Die erste, eine äthiopische Jüdin, hält mit unbewegter Miene ihr sterbendes Kind im Arm. Die andere, eine äthiopische Christin, sagt zu ihrem neunjährigen Sohn »Geh!« und schickt ihn mit der jüdischen Mutter auf die Reise ins Gelobte Land - in das aber nur Juden dürfen. Die stumme Verzweiflung des Jungen, der nicht versteht, warum seine Mutter ihn nicht mehr bei sich haben will und warum er sich als Jude ausgeben soll, gehört zu den rührendsten Filmszenen überhaupt.
Im Land, in dem angeblich Milch und Honig fließen, fließen anfangs nur die Tränen. Viele Israelis lassen die schwarzen Juden versteckten bis offenen Rassismus spüren. Um die Nichtjuden, die sich unrechtmäßig ins Land gemogelt haben, zu entlarven, müssen die Flüchtlinge Befragungen erdulden, die unangenehm an den Ariernachweis erinnern. Selbst dem, der den Test besteht, werden der Name und die Identität genommen: Der kleine traurige Schwindler heißt von nun an Schlomo.
Schlomos »Zweitmutter« stirbt nach der Ankunft in Israel. Fortan muss sich der Junge eine fremde Identität aneignen, die aber immer mehr seine eigene wird. Eine liebevolle Adoptivfamilie nimmt sich seiner an (hervorragend: Yaël Abecassis als leidenschaftliche Adoptivmutter), und der Junge entwickelt eine enge Beziehung zum jüdischen Glauben.

Artikel vom 06.04.2006