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114 000 Euro Pflegegeld kassiert

Jugendamt prüft Regressansprüche gegen mutmaßlich pädophilen Mann

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Mehr als 114 000 Euro Pflegegeld hat Tischler Michael N. (46) aus Lemgo in drei Jahren für die Betreuung zweier Mädchen bekommen, die er missbraucht haben soll. Morgen beginnt der Prozess gegen den Mann.
Michael N. galt als pädagogisch qualifiziert.

Wie berichtet, hatte sich der mutmaßlich pädophile Handwerker gegenüber den Jugendämtern Lemgo und Bielefeld mit Hilfe gefälschter Zeugnisse als Lehrer ausgegeben. »Seine vorgetäuschte pädagogische Qualifikation führte dazu, dass dem Mann schwierige Pflegekinder anvertraut worden sind, die besonderer Hilfe bedurften«, sagte gestern Matthias Lehmkuhl vom Landesjugendamt in Münster. Damit hatte der angebliche Pädagoge Anspruch auf ein erheblich höheres Pflegegeld: Während Pflegeeltern üblicherweise für ein Kind im Alter zwischen sieben und 14 Jahren 23,10 Euro pro Tag bekommen, zahlt das Jugendamt Pflegeeltern mit pädagogischer Ausbildung zwischen 52 und 77 Euro täglich. Legt man den geringsten Tagessatz von 52 Euro zugrunde, kassierte Michael N. für seine beiden Pflegetöchter in den Jahren 2002 bis 2005, die sie bei ihm lebten, 114 000 Euro Pflegegeld - steuerfrei. Dazu kamen mehr als 11 000 Euro Kindergeld.
Die heute zehn und 13 Jahre alten Schwestern waren 2002 vom Jugendamt Bielefeld über die Arbeiterwohlfahrt an Michael N. und seine Lebensgefährtin vermittelt worden. Bielefelds Jugendamtsleiter Georg Epp erklärte gestern, er beschäftige sich derzeit intensiv mit der entsprechenden Akte. »Natürlich überprüfen wir, ob und wieviel Pflegegeld wir von dem Mann zurückverlangen.«
Zu der Tatsache, dass den Jugendämtern die sechs Vorstrafen des Tischlers (u.a. wegen Betruges, Urkundenfälschung und Amtsanmaßung) nicht bekannt gewesen waren, erklärte Matthias Lehmkuhl vom Landesjugendamt, dass seine Behörde im Gegensatz etwa zur Polizei kein Recht auf eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister habe: »Wir bekommen nur Verurteilungen von mehr als 90 Tagessätzen gemeldet. Deshalb hatte der Mann auf dem Papier eine weiße Weste.«
Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hat Michael N. zuletzt kaum noch in seinem erlernten Beruf gearbeitet, sondern nach Beschäftigungen gesucht, die mit Kinderbetreuung verbunden waren. So soll er als ehrenamtlicher »Familienberater« Kontakt zu getrennt lebenden Frauen und deren Kindern bekommen haben.
Da Michael N. nach Angaben seines Strafverteidigers Andreas Chlosta im Prozess schweigen will, werden die mutmaßlichen Opfer wohl aussagen müssen. »Das wird schwer für die Mädchen«, befürchtet Rechtsanwältin Heike Klockemann. Sie vertritt die beiden Schwestern sowie die Tochter von Michael N.s früherer Lebensgefährtin, die ebenfalls missbraucht worden sein soll. Die Anwältin hat beantragt, dass Michael N. den Gerichtssaal verlassen muss, wenn die Mädchen befragt werden.

Artikel vom 05.04.2006