07.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Da es Betriebe gibt, die genug verdienen, bleibt wohl nur der Ausweg über Ausstiegsklauseln.

Leitartikel
Tarifkonflikte

Zurück in
dem alten
Kampfgebiet


Von Bernhard Hertlein
»Nicht nur die Ärzte wollen mehr Geld«, las man gestern auf den Transparenten von 2000 Gebäudereinigern, die in Frankfurt auf die Straße gingen.
Die Gebäudereiniger also auch. Es fällt zunehmend schwer, bei den vielen Streiks, Warnstreiks, Verhandlungen und Vorverhandlungen im Öffentlichen Dienst bei Kommunen und Ländern, im Metallbereich, im Gesundheitssektor bei den Klinikärzten sowie in der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie und in der Textil- und Bekleidungsindustrie den Überblick zu behalten.
Allmählich müssen sich die Gewerkschaften schon aus Marketing-Gründen Gedanken machen, ob die Streiks und unterschiedlichen Anliegen in der Öffentlichkeit überhaupt noch differenziert wahrgenommen werden. Da sind die Klinikärzte im Vorteil. In ihren weißen Kitteln fallen sie schon deshalb auf, weil streikende Mediziner in Deutschland ungewohnt sind.
Dazu kommt die auf den ersten Blick schier unglaubliche Forderung von 30 Prozent mehr Gehalt. Gegen die Ärzte hatten es diesmal selbst die Müllwerker, denen sonst immer die gesamte Aufmerksamkeit gilt, schwer, in die Medien zu kommen.
Streiks sind ein natürliches Recht der Arbeitnehmer, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass Streiks Kosten verursachen. Der baden-württembergische Finanzminister Gerhard Stratthaus hat gestern darauf aufmerksam gemacht, dass es fast zehn Jahre dauern wird, ehe mit der nun vereinbarten zusätzlichen halben Arbeitsstunde pro Woche in den Kommunen auch nur die durch den Streik verursachten Fehlzeiten ausgeglichen sind. Wenn das stimmt, dann müssen sich allerdings auch die Länderregierungen fragen lassen, warum sie für ein paar Minuten mehr an der 40-Stunden-Woche jetzt weitere Streiks riskieren wollen.
Neben Verdi führt in Deutschland traditionell die IG Metall die Speerspitze bei den Tarifverhandlungen. Nirgendwo wurde in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren so vehement für die Verkürzung der Arbeitszeit und Einführung der 35-Stunden-Woche gefochten wie eben im Metallbereich.
Jetzt müssen die Gewerkschaften zuschauen, wie ihre »Erfolge« nach und nach wieder einkassiert werden. Noch nicht vergessen ist die erst knapp drei Jahre zurückliegende Blamage in den fünf östlichen Bundesländern, als die IG Metall einen Streik zur Erreichung der 35-Stunden-Woche ergebnislos abbrechen musste.
Kein Wunder, dass die Gewerkschaft jetzt wieder aufs alte Kampfgebiet zurückfindet. Wenn keine anderen Erfolge erzielbar sind, dann soll wenigstens etwas in die Tüte. Die von den Arbeitgebern angebotenen 1,2 Prozent sind für manche Metallbetriebe schon viel, für die IG Metall aber zu wenig. Da es Betriebe gibt, die genug verdient haben, um auch deutlich mehr zu zahlen, bleibt wohl nur der Ausweg über Ausstiegsklauseln. Wie viele Streiktage wohl notwendig sind, bis sich diese Erkenntnis durchsetzt?

Artikel vom 07.04.2006