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Neue Perspektiven für
die hoffnungslosen Fälle

In Bielefeld soll die Hauptschule keine Restschule sein

Von Michael Schläger
Bielefeld (WB). Der Hilferuf der Lehrer an der Berliner Rütli-Hauptschule hat bundesweit eine Diskussion über Gewalt an Schulen entfacht. Auf einmal ist auch die Schulform Hauptschule wieder in aller Munde. Und wer den Blick nach Bielefeld richtet, stellt schnell fest, dass auch das ostwestfälische Oberzentrum nicht in einem Tal der Ahnungslosen liegt.

»Natürlich gibt es an fast allen Schulen Formen von Gewalt«, sagt Schulrat Harald Drescher, im Schulamt für die Stadt Bielefeld zuständig für die elf Hauptschulen im Stadtgebiet. Die beschränke sich aber nicht auf die Schulform Hauptschule. Auch »Ausfälle im Verhalten gegenüber Erwachsenen« seien feststellbar. Es komme jedoch immer darauf an, wie die Schulen damit umgingen. Der Verweis von einer Schule sei die große Ausnahme. Die Zahl solcher Fälle bewege sich bei den Hauptschulen übers Jahr betrachtet im einstelligen Bereich, betont Drescher.
»Ganz wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Eltern«, sagt der Schulrat. Oft fehle es bei den Erziehungsberechtigten aber »an Bereitschaft und Einsichtfähigkeit«. Viele Kinder aus problematischen Familien seien den ganzen Tag auf sich allein gestellt. »Die Eltern sind unterwegs.«
Nur gut zehn Prozent der Kinder, die eine weiterführende Schule in Bielefeld besuchen, gehen auf eine der elf Hauptschulen. Von den 3471 Jungen und Mädchen kommen 39,93 Prozent aus ausländischen Familien. Den größten Anteil stellen mit 839 Jugendlichen die Türken. Auch der Anteil der Jungen und Mädchen aus Aussiedlerfamilien ist an den Hauptschulen überdurchschnittlich hoch, beträgt 17,43 Prozent.
Immerhin knapp sieben Prozent der rund 4000 Bielefelder Schulabgänger hatte 2005 kein Abschlusszeugnis in der Tasche. Sie landen häufig in den Vorklassen für die Berufsgrundschule. »Die Zahl der Jugendlichen ohne Abschluss wächst ständig«, sagt Martin Theodor Seifert, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in Bielefeld. Im VBE sind viele Grund-, Haupt-, Gesamtschul- und Sonderschullehrer organisiert. Der Verband setzt sich für eine allgemeine Sekundarschule ein. Iglu-Studie und Pisa-Test hätten ergeben, dass Schwächere in Lerngruppen mit unterschiedlichen Leistungsstandards bessere Chancen hätten. Seifert meint: »Der Anreiz, Leistung zu zeigen, ist größer.«
Viel verspricht sich der Schulrat Drescher unterdessen von der Ganztags-Hauptschule, die die Landesregierung zum kommenden Schuljahr einführen möchte. »Dort ist eine individuellere Förderung möglich«, sagt Drescher und bezieht dies sowohl auf die Wissensvermittlung wie auch auf das Sozialverhalten. In Bielefeld könnten Baumheide- und Brodhagenschulen in das neue Programm aufgenommen werden. Eine Entscheidung fällt Ende April.

Artikel vom 04.04.2006