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Dem »guten Grund« auf der Spur

Mit NLP-Techniken lassen sich Ängste, Zwänge und Phobien in den Griff bekommen

Von Daniela Rahn
Rheda-Wiedenbrück (WB). Wenn Marco nach Hause kommt, kann er sich nicht einfach entspannt ins Sofa fallen lassen und den Feierabend genießen. Schon an der Haustür beginnt das abendliche Ritual, das ihn viel Zeit, Nerven und Anstrengung kostet. Akribisch desinfiziert er seine Schuhe, füllt eine Waschmaschine mit allen Kleidungsstücken, die er an diesem Tag getragen hat.

Danach geht er duschen, schrubbt seinen ganzen Körper sauber, stundenlang. Und ist anschließend völlig erledigt. Marco leidet unter einem Hygienezwang. Alles, was sich außerhalb seiner eigenen vier Wände befindet, ist in seinen Augen verunreinigt, krankmachend, »kontaminiert«.
»Bis Menschen, die unter Ängsten, Zwängen und Phobien leiden, sich dazu entschließen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, haben sie oftmals schon einen langen Leidensweg hinter sich«, sagt Heike Küst. Die gelernte Krankenschwester hat nach 15-jähriger Berufserfahrung in der psychosozialen Beratung vor fünf Jahren »Goldengate«, ein Institut für NLP-Coaching und Kommunikationstraining in Rheda-Wiedenbrück, gegründet. Hier versucht sie unter anderem Menschen zu helfen, die sich selbst nicht von ihren Ängsten, Zwängen oder Phobien befreien können. Dazu bedient sie sich der Erkenntnisse des NLP.
Aber was eigentlich ist NLP? Es bedeutet »Neurolinguistisches Programmieren« und ist Mitte der 70er Jahre in Amerika entwickelt worden. Die Grundannahme des NLP ist, dass jeder Mensch über ein breites Spektrum an Fähigkeiten verfügt, von denen er jedoch durchschnittlich nur 20 Prozent nutzt. Diese sind im Unterbewusstsein gespeichert und werden mit NLP-Techniken aktiviert, um sie - gleich einem Werkzeug - nutzbar zu machen. Dazu wird Sprache, Ausdruck und Vorstellungskraft genutzt.
Im Erstgespräch mit Marco versucht Heike Küst herauszufinden, ob NLP für den 37-Jährigen der richtige Weg sein könnte, ob die innere Bereitschaft da ist, sich auf diese Art der Problemlösung einzulassen. Apropos Therapie: NLP ist keinesfalls ein Ersatz für eine Psychotherapie. Während die Psychotherapie sich über einen langen Zeitraum intensiv mit der Vergangenheit des Klienten auseinandersetzt, geht es bei NLP ganz pragmatisch darum, nicht erwünschte Verhaltensweisen zu ersetzen.
In der Regel sind dazu sogenannte Kurzzeit-Coachings ausreichend. Um beispielsweise Flugangst zu bewältigen, reichen häufig schon zwei bis drei Doppeltermine. Bei Ängsten und Panikattacken ist das unerwünschte Verhalten oftmals schon nach vier bis fünf Doppelterminen bewältigt. Zwänge sind meist ein wenig hartnäckiger. Heike Küst: »Hier sind in der Regel vier bis fünf Doppeltermine nötig, um ein Fundament zu schaffen, auf dem man weiterarbeiten kann.«
Als erfahrener Gesundheitscoach weiß Heike Küst, dass der Bereich, in dem sie praktiziert, höchst sensibel ist. So effektiv und zielstrebig die Arbeit mit NLP sein kann, so genau kennt die 38-Jährige auch die Grenzen: »Voraussetzung ist immer ein grundsätzlich stabiler Zustand des Klienten. Sobald beispielsweise eine Psychose im Spiel ist, ist NLP sicher nicht der richtige Weg.«
Als Grundlage für die Arbeit mit NLP dient die Annahme, dass jedes unerwünschte Verhalten einen »guten Grund« hat. Bei Marco gilt es also, eine Antwort auf die Frage zu finden: Wozu soll das zwanghafte Desinfizieren und Waschen eigentlich gut sein? Es könnte zum Beispiel sein, dass Marco sich schützen, nicht verletzt werden möchte, unter zu viel Nähe zu anderen Menschen leidet. Der Hygienezwang hilft ihm dabei, sich abzugrenzen, autonom zu bleiben, Herr über sich und seine »eigene Welt« zu sein. In seinem Zwang führt er die Regie und bestimmt den Ablauf.
Mit Hilfe des NLP sucht Heike Küst nun gemeinsam mit Marco nach alternativen Verhaltensweisen mit der Maßgabe, dem »guten Grund« weiterhin gerecht zu werden, jedoch Verhaltensmuster freizulegen, die nicht belastend sind -Êwie ein Zwang. »Ziel ist es, dem Klienten wieder eine Vielfalt an Verhaltensmöglichkeiten zur Auswahl zu stellen, seine Ressourcen zu stärken und ihm damit das Gefühl der Ruhe, der Gelassenheit und des Mutes wiederzugeben«, erklärt die NLP-Beraterin.
Wie es für Marco weitergehen wird, werden die nächsten Sitzungen zeigen. Vielleicht reichen schon kleine Veränderungen in seinem Leben aus, um dem Zwang für immer ade zu sagen. Vielleicht wird es aber auch nötig sein, das Elternhaus zu verlassen, um den Wunsch nach Autonomie mit einer eigenen Wohnung nachhaltig auf stabile Beine zu stellen.
www.hk-goldengate.de

Artikel vom 07.04.2006