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Zwischen Krimi und krudem Komplott

Mankell fahndet nach Kennedys verschwundenem Hirn und findet Afrika

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Wir sind wieder ein wenig versöhnt mit Henning Mankell. Nach dem endgültigen Aus für Kommissar Kurt Wallander hatte der Erfolgsautor seine Fans auf eine lange und harte Probe gestellt.

Besonders »Tiefe«, sein vorletzter Roman, lotete die Düsternis menschlicher Existenz unerträglich aus - und das, ohne die wohlige Spannung zu bieten, mit der sich Mankells Leser ansonsten an die zugigsten Küsten und eisigsten Tatorte locken lassen.
Jetzt also »Kennedys Hirn«, eine auf den ersten 200 Seiten viel versprechende Zusammenführung aus Schweden-Krimi und Afrika-Roman. Louise Cantor fahndet in eigener Sache nach den Umständen des Todes ihres Sohnes daheim in Schweden. Die Archäologin startet in Griechenland, streift Australiens Südküste, landet permanent in Frankfurt zwischen, verfliegt 54 000 Meilen und erwischt nach x-maligem Umsteigen den Lift nach Mosambik.
So deutlich wie nie zuvor erlaubt uns der der scheue Schwede Einblick in sein Herz für Schwarzafrika. Mankell lässt seine Protagonistin sogar in der Backstube an der Ecke des von ihm geförderten Theaters in Maputo kurz einkaufen.
Dass er dabei allerdings den krudesten Verschwörungstheorien Raum bietet, ist unentschuldbar. Er macht uns wirklich glauben, das Aids-Virus sei in Amerika entwickelt worden, damit der schwarze Mann die schwarze Frau ausrottet, auch um den Preis einiger Homosexueller in Kalifornien. Auch schildert er seit 1959 behauptete Menschenversuche im Kongo. Und ein finsterer US-Milliardär vom Typ Bill Gates treibt Böses in high-tech-mäßig unterkellerten Sterbe-Hütten irgendwo im Busch.
Niemand müsste es besser wissen als Mankell selbst, der Afrika kennt, den Charakter europäischer Botschaftsbediensteter ebenso zutreffend einschätzt, wie er der Philosophie eines schwarzen Denkers auf einer Insel vor Maputo ein Denkmal setzt.
Zu vieles fängt so gut an, wird aber nicht aufgelöst. So werden die von Mankell mit »Plan-international« geförderten Sterbebücher aisdskranker Eltern ins Spiel gebracht. Die Suche nach John F. Kennedys verschwundenem Hirn startet sogar auf dem Titel. Eine wirkliche Erklärung dafür, weshalb die nicht weiter preiszugebende Auflösung am Ende hirnlos und jenseits der realen Aids-Dramatik bleibt, gibt es nicht. Außer: man hält das Absurde für eine Erklärung seiner selbst.
»Ein Roman kann auf Seite 212 oder 397 enden, die Wirklichkeit geht unvermindert weiter«, schreibt Mankell im Nachwort. Vielleicht hätte er tatsächlich auf halber Strecke die Handlungsstränge kurzerhand verknüpfen und fulminant Schluss machen sollen. Die Sache wäre es wert gewesen - nur das gebundene Buch nicht, denn das kostet mit 399 Seiten happige 24,90 Euro.
Henning Mankell, Kennedys Hirn, Zsolnay-Verlag 2006

Artikel vom 06.04.2006