06.04.2006
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Sie verfiel in ernstes Schweigen. Vuk und Zoran grinsten verständnislos. Frank fluchte, als ihm ein Jaffa Cake in den Tee fiel.
»Schließlich ich sie habe gefunden, sie sind in verschiedenen Ländern«, fuhr Mrs P fort. »Ich schicke Geld, und sie kommen alle hierher. Alles geheim, wenn man sie findet, sie werden zurückgeschickt. Aber wir haben Glück. Die Bauarbeiter sind freundliche Menschen, sie helfen uns mit Essen, helfen uns mit Papieren, sie machen, dass der Turm warm ist, und sagen nichts zu Ihnen. Ich bin nicht stolz, dass ich Sachen stehle von Ihnen, dass ich Sie anlüge. Und immer denke ich, können Sie das verstehen? Andere Sachen sind nicht so, sie fangen an und hören irgendwann auf. Aber wenn die Heimat weg ist, wenn sie einfach weg ist von Landkarte, dannÉ«
»Moment mal.« Die Stimmung warnatürlich sehr emotional, und ich wollte sie auch nicht unterbrechen, aber ich hatte im Kopf schon mehrmals nachgerechnet und kam immer noch zu keinem logischen Ergebnis. »Wie viele sind denn nun hier?«
»Mirela, mein Tochter, schläft gerade. Sie ist krank, sie braucht viel Ruhe.«
»Oh.« Ich stand langsam auf. »Sie schläft?«
»Ja, im Turm.« Mrs P nickte.
»Erzählen Sie weiter«, forderte Bel sie auf. »Was wollten Sie sagen? Was ist, wenn die Heimat weg ist?«
»Es hört nie auf, weil, wenn der Boden weg ist, auf dem man geht, dann fällt man und fälltÉ«
»Entschuldigt mich einen MomentÉ« Niemand achtete auf mich, als ich mich verdrückte. Ich schloss die Tür hinter mir, sprang die Stufen hinunter und sprintete über den nassen Rasen. Ein wütendes Grollen im Osten kündigte einen Sturm von See an. Streng und düster tauchte der Turm aus der Nacht auf.
D
Die Tür war ein Loch in der Wand. Die Stützpfosten waren mit Plastikband umhüllt, das ratternd im Wind flatterte. Schwitzend, wie im Fieber, stieg ich die enge Treppe hinauf, wobei mich die Eisenstäbe, die aus den Steinwänden ragten, in die Seiten pieksten. Am Holzgerüst klebten in unregelmäßigen Abständen gelbe Zettel, auf die unleserliche Botschaften gekritzelt waren - Notizen der Bauarbeiter, so stellte ich mir vor, für Arbeiten, die nie mehr erledigt würden. Auf halbem Weg stieß ich auf das Klavier. Es klemmte rettungslos verkantet zwischen Treppe und Decke. Ich quetschte mich vorbei, stieß, oben angelangt, die Falltür auf und steckte den Kopf in den Raum.
E
I
»Ah, da bist du ja«, sagte das Mädchen.
»Ja«, sagte ich und kam mir etwas übertölpelt vor.
»Komm doch rein«, sagte sie höflich und legte das Buch zur Seite.
»Danke.« Regungslos sah sie zu, wie ich mich durch die Luke hievte. »Ich hab gewusst, dass du früher oder später kommen würdest«, sagte sie. »Was ist passiert?«
»Ach, nur ein kleiner Disput drüben beim Haus. Dein beziehungsweise deine Brüder waren so freundlich einzuschreitenÉ«
Trotz des unruhigen Lichts war nicht zu übersehen, dass sie ein bemerkenswertes Mädchen war: volles schwarzes Haar wie ihre Brüder, scharfe, eindrucksvolle Züge. Die durchdringenden, stahlblauen Augen schauten mich nicht einfach an, ihr Blick grub sich ungestüm in meine Augen hinein. Es war wie eine Erlösung, als sie blinzelte.
»Wahrscheinlich ist es am besten so«, erklärte sie in heiterem, nach wie vor gelassenem und mehrdeutigem Tonfall. Dann, wie um sich selbst zu bestätigen, nickte sie. Ihr Akzent war gefälliger als der ihrer Mutter, er verlieh ihrer Stimme eine samtene, hypnotische Note. Plötzlich hatte ich es nicht mehr eilig, wieder zu gehen. Sie fing an, vor sich hin zu summen, und wickelte sich eine Locke um den Finger. Dann, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen, hörte sie damit auf. »Möchtest du was zu trinken? Seit neulich haben wir auf einmal eine Riesenauswahl Wein da.«
»Äh, nein«, sagte ich zögernd und stieß mit dem einen Schuh den anderen an. »Ich bin eigentlich nicht nur da, um guten Tag zu sagen. Ich wollte auch sagen, dass in ein paar Minuten der Turm in die Luft fliegt.«
»Plus ça change«, sagte sie mit einem Anflug von Lächeln.
»Ich meinÕs ernst«, sagte ich. »Du musst hier raus.«
»Wie lange haben wir noch?«
»Weiß nicht genau. Nicht mehr lange.«
S
»Sicher.« Ritterlich begab ich mich zur anderen Seite des Raumes. Das seltsame Klopfgeräusch hinter mir ignorierte ich, während ich in den von Mrs P entwendeten Schätzen kramte. Auch ein Miniatureiffelturm aus Plastik hatte sich hierher verirrt, ein Souvernir einer Frankreichreise aus meinen Kindertagen, die hauptsächlich darin bestanden hatte, in Hotelzimmern darauf zu warten, dass Vater von endlosen Konferenzen zurückkam. Er und Mutter waren wie Katz und Maus gewesen. Ich fragte mich, wer den Turm aufgehoben hatte. »Ich muss schon sagen, eure Kaltschnäuzigkeit ist bewundernswertÉ«, sagte ich über die Schulter.
»Halb so wild, im Laufe der Jahre kriegt ein Mädchen ganz schön was mit«, erwiderte sie. »Okay, du kannst wieder schauen.« Als ich mich umdrehte, sah ich noch, wie ein nackter Arm in einen burgunderroten Ärmel schlüpfte. Sie bedachte mich mit einem Lauren-Bacall-Zwinkern. Der helle Rock war eng und reichte fast bis zum Boden. »Nun? Bin ich präsentabel?«
»Außerordentlich.«
»Was ist mitÉ?« Sie machte eine umfassende Handbewegung, die den Turm und das gesamte Inventar einschloss.
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Artikel vom 06.04.2006