04.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Ich fand MacGillycuddy hinter einer Akazie, die Hände lagen friedlich gefaltet in seinem Schoß. Die Videokamera, die über ihm in einer Astgabel klemmte, war auf das Fenster des Speisezimmers gerichtet. Ich nahm die Kamera herunter und drückte auf den Knöpfen herum, bis die Kassette zurückspulte. Dann hielt ich mir den Sucher vors Auge. Das Abendessen mit Laura ließ ich im Schnelldurchgang durchlaufen. Selbst bei Höchsttempo war es noch unerträglich langweilig. Strichmännchen schlingen Essen, kippen Wein, Köpfe zappeln hin und her wie Vögel. Bel und Frank kommen herein. Die Strichmännchen flitzen im Zimmer herum. Dann der Stromausfall: Dunkelheit, Laura kommt mit der Kerze zurück. Ich sah, wie Bel und Frank das Zimmer verlassen, wie ich zurückkomme und die anderen Kerzen anzünde, dann vor dem Schrank den kurzen elektrisierenden Augenblick zwischen Laura und mir, ein belangloser Bruchteil einer Sekunde.

K
urz danach unser Abgang. Ich drückte auf Normalgeschwindigkeit. Einige Minuten vergingen, dann tauchte eine geisterhafte weiße Gestalt auf: die schlafwandelnde Mrs P. Dann tauchten andere Gestalten auf. Die wegen des Kerzenlichts schlechte Bildqualität machte es unmöglich, die Gesichter zu erkennen. Ich sah nur Schatten, Furcht einflößende, übergroße Schatten, die Mrs P wie die Schutzgeister einer Hexe langsam folgten. In deren schwarzen Pranken sah man Dinge aufblitzen und wieder verschwinden. Eiskalter Schweiß lief mir den Rücken hinunter. Ich stieß MacGillycuddy an. »MacGillycuddy! Verdammt, MacGillycuddy, aufwachen!«
»Was? Was ist los?«, brummte er und öffnete seine so genannten Luchsaugen. »Ich war schon wach.«
»Quatsch, Sie haben fest geschlafen.«
Ächzend erhob er sich. »Warum sind Sie noch nicht tot?«
»Verdammt, MacGillycuddy. Konnten Sie nicht eine Stunde lang die Augen offen halten?«
»Wieso, die Kamera läuft doch, oder?«, nörgelte er und zupfte sich kleine Zweige vom Rücken.
»Aufgenommen hat sie schon was«, sagte ich. »Aber ich kapierÕs nicht. Nach dem, was auf der Kassette ist, ist Frank vollkommen unschuldig. Danach steckt Mrs P hinter der Sache. Und irgendwelche Gestalten, die wie übernatürliche Wesen aussehen, haben ihr geholfen.« Ich drückte ihm die Kamera in die Hand. »Da, sehen Sie selbst.«
Er spulte das Band zurück. »Das ist ja ein Ding!«, sagte er, als er alles gesehen hatte.
»Und was mache ich jetzt? Sie glauben ja wohl nicht, dass Mrs P mit übernatürlichen Wesen im Bunde steht, oder?«
»Schwer zu sagenÉ« MacGillycuddy kratzte sich nichtssagend am Kopf.
»Scheiße, haben Sie überhaupt nichts gesehen? Sie sollten observieren, dafür bezahle ich Sie. Und, warum haben Sie nicht observiert?«
»Bei Kerzenlicht kann ich nicht observieren. Ich bin nicht Bruder Cadfael.«
»Was?«, sagte ich.

W
ie auch immer, so fuhr er säuerlich fort, wenn sich hinter dem Möbeldiebstahl übernatürliche Wesen verbargen, dann sei ich mit einem Priester besser beraten. Allerdings, fügte er an, würde ich wohl Schwierigkeiten haben, einen aufzutreiben, der meine ungedeckten Schecks akzeptierte. Sollte es ihm an Barmitteln mangeln, erwiderte ich sinngemäß, wüsste er doch sicher ein paar Kinder, die morgen Geburtstag hätten und deren Post er abfangen könne. Er reagierte darauf mit einer unappetitlichen Bemerkung über Inzucht. Darauf gab ich ihm eine aufs Ohr. Er revanchierte sich mit einem Hieb in die Nieren, und bevor ich noch recht wusste, wie mir geschah, wälzten wir uns prügelnd in Buschwerk und Dreck. MacGillycuddy war einer von der drahtigen Sorte, und er hatte eine unbarmherzige Ader. Es wäre wohl übel für mich ausgegangen, hätte ich nicht unter seiner Achsel hindurch zwei stämmige Schatten erspäht - die Schatten, da war ich mir sicher, hatten auch Gastrollen in dem Video gespielt. Sie zerrten das Klavier über den Rasen. »Da«, röchelte ich.
»Ha, der alte ÝDa-TrickÜ«, schnaubte MacGillycuddy. »Da! Und da! Ha!«
»Heiligemariamuttergottes«, heulte ich, als MacGillycuddys Finger sich in meine Augenhöhlen senkten. »Da! Die Diebe! Sie sind hinter Ihnen!«
MacGillycuddy hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen so klaren Punktvorsprung, dass er es sich leisten konnte, einen kurzen Blick hinter sich zu werfen. »Heilige Scheiße!«, brummte er und und gab mich frei.
Ich berappelte mich und keuchte: »Los, hinterher!«

D
ie Schatten bewegten sich auf den Turm zu, und zwar, angesichts der schweren Last, in ziemlich flottem Tempo. Der Knöchel, auf den mir MacGillycuddy getrampelt war, behinderte mich, und er selbst schien zu zögern, ob er sich allein auf die Jagd machen solle. Nichtsdestotrotz machten wir Boden gut, als ein Dritter unseren Weg kreuzte. Er war kleiner und grobschlächtiger als die beiden anderen und hatte ein knotiges, ganz verschwollenes Gesicht.
»Abend zusammen«, sagte er
»Jetzt passen Sie mal auf«, sagte ich und massierte mir den Hals. »Die Ottomane, okay, oder die Auflaufformen, geschenktÉ aber das Klavier É Ich weiß ja nicht, ob sie selbst musizieren, aber es gibt eine Art Bande zwischen einem Mann und seinemÉ«
»Ich weiß nix von Auflaufformen«, unterbrach mich der Neuankömmling. »Wollt bloß mal kurz mit Frank reden.«
»Mit Frank?« Meine Augäpfel rutschten plötzlich wieder in ihre angestammte Lage, und ich erkannte den Burschen. Das war der Wichser aus dem Pub. Tödliche Entschlossenheit loderte in seinen Augen. Er war gekommen, um Rache zu nehmen.
»Geh einfach ins Haus und frag Frank, ob er nicht mal eben rauskommen kann«, sagte der Wichser gelassen.

W
ir steckten mitten in einem Bandenkrieg! Konnte die Lage überhaupt noch beschissener werden? Ich schaute MacGillycuddy an. MacGillycuddy schaute mich an.
»Nichts wie weg!«, sagte MacGillycuddy.
Die Tür fiel gerade hinter uns ins Schloss, als weitere wichserähnliche Gestalten zwischen den Bäumen auftauchten. Wir platzten keuchend in die Küche, wo Laura immer noch auf Frank einschwatzte und Bel Mrs P dazu überreden wollte, endlich aufzustehen. Bel schaute mich verblüfft an.
»Ich hab gedacht, du wärst im Bett. Was ist hier eigentlich los? Und wer sind Sie?«
»MacGillycuddy ist der Name, Ignatius MacGillycuddy.«
»Sind Sie nicht der Postbote?«
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit«, mischte ich mich ein. »Die Sache ist die, dassÉ« Es klingelte Sturm.
»Das ist sicher mein Taxi.« Laura schwang sich ihre kleine Tasche über die Schulter und stolperte Richtung Tür, sodass ich gezwungen war, einzuschreiten und sie am Arm zu packen.
»Würdet ihr mir jetzt endlich mal zuhören. Die Sache ist die É das Haus wird belagert, und zwar von dem Wichser und seinen Freunden.«
»Der Kerl ist wirklich geil auf Prügel«, bemerkte Frank.
»Ja, ja, wie auch immer, ich möchte nicht, dass die Frauen da mit reingezogen werden. Also, Bel, du gehst mit Laura und Mrs P in den Keller, Frank, MacGillycuddy und ich versuchen É wo ist eigentlich MacGillycuddy?«
»Eben war er noch da.«
»Ach, zum Teufel. Also, Frank, sieht ganz so ausÉ«
»Charles.« Jedesmal wenn Bel mich anschaute, glühten ihre Wangen. »Wenn du glaubst, dass ich in den verstunkenen Keller gehe, bloß weil da draußen ein ekliger kleiner KerlÉ«
»Da ist nicht ein ekliger Kerl, da sind zwanzig von den Typen.«
»Ja, ja, ist schon gut, und was ist mit Mrs P?« Mrs Ps linker Arm hing herunter, die Faust ballte und schloss sich pausenlos. »Glaubst du wirklich, dass sie in der Verfassung ist, in einem kalten schmutzigen KellerÉ?«
»Aber für eine Tracht Prügel ist sie fit genug, oder was? Also BelÉ« Ich brach ab und spitzte die Ohren. Das Klingeln hatte aufgehört und war von einem Übles verheißenden Hämmern gegen die Haustür abgelöst worden, das sich wie eine Dschungeltrommel anhörte. Die Küchenschränke und Lampen summten wohlwollend mit.
»Vielleicht sind sie gar nicht auf Krawall aus«, sagte Laura. »Vielleicht wollen sie ja nur mal telefonieren oder sich was ausborgen oder so.«
Die in einer Flasche steckende Kerze tropfte heftig, und die Flamme warf unsere Schatten mal dahin, mal dorthin.
»Scheiße, Frank, das sind deine Feinde, geh du raus und red mit ihnen.«
»Schätze, du hast Recht. Du hast nicht zufällig irgendwo ein paar Kanthölzer rumliegen, Charlie? Oder eine Nagelpistole?«
Bel stand auf. »Das ist doch lächerlich. Ich ruf jetzt die Polizei.«

N
ein, Bel!« Ich lief hinter ihr her in die Halle, von wo aus man die ein paar Stufen tiefer liegende Haustür sehen konnte, die mit jedem Schlag erzitterte wie ein pulsierendes Herz. Der Rahmen begann schon zu splittern, die Angeln gaben schon nach. Feindseliges Stimmengewirr war zu hören. Bel blieb stehen, schluckte, tat dann so, als hörte sie nichts, und ging weiter auf den Korbtisch zu, wo, nur wenige Schritte von der bebenden Haustür entfernt, das Telefon stand. »Hallo? Komisch É Hallo?«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 04.04.2006