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Hilferuf der Lehrer: Auf dem
Schulhof fliegen die Steine

Nach Gewalt und Zerstörung erhält Berliner Hauptschule Polizeischutz

Von Caroline Bock
Berlin (dpa). Angesichts wachsender Gewalt hat eine Berliner Hauptschule einen dramatischen Hilferuf an den Senat gerichtet. Ihr Brief wurde gestern bekannt - und schlug Wellen.
Bildungssenator Klaus Böger zog erst gestern die Notbremse, schickt Polizei.

»Wir sind ratlos«, schrieben die Pädagogen und erzielten Wirkung: Von heute an sollen Polizisten dafür sorgen, dass keine Waffen ins Gebäude gelangen. Nach Aussage von Bildungssenator Klaus Böger (SPD) wird die Rütli-Schule zudem künftig von zwei Sozialarbeitern und zwei Schulpsychologen unterstützt.
Auch die Reporter am Zaun der Rütli-Schule mussten sich gestern ducken, als nach dem Pausengong Steine flogen. Wie aggressiv die Jugendlichen sind, ist an diesem Morgen zu spüren. Sie rütteln am Zaun, zeigen obszöne Gesten und strotzen vor pubertärem Imponiergehabe. »Ich habe jeden Tag eine Prügelei gesehen«, sagt Ali, der seit kurzem hier ist. Auch Handy-Filme mit Gewaltszenen machten die Runde, erzählt ein Mädchen.
Die Schüler benehmen sich im Medienrummel vermutlich noch übler als sonst, die Stimmung wirkt aufgeladen. Neukölln ist ein armer Stadtteil, der nicht erst seit Detlev Bucks Kinofilm »Knallhart« als Problemkiez bekannt ist.
In Berlin wird seit längerem darüber diskutiert, wie arabisch- und türkischstämmige Jugendliche besser integriert werden können. An der Rütli-Schule erscheint das Problem besonders drastisch: »Die Araber haben das Sagen und unterdrücken die Türken«, berichtet eine ehemalige Lehrerin. Sie habe das Gefühl, an der Schule würden »Kriminelle und Terroristen« großgezogen. 80 Prozent der Schüler sind ausländischer Herkunft. Die Jungen tragen Gel im dunklen Haar, einige gebärden sich wie Nachwuchs-Machos.
Was ihre Lehrer schreiben, klingt wie ein Abgesang an das Konzept der Hauptschule, die oft als »Restschule« gilt: Die Stimmung sei geprägt von »Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz uns Erwachsenen gegenüber«. Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht und Knallkörper gezündet. Einige Pädagogen gehen nur noch mit Handy in bestimmte Klassen, damit sie notfalls schnell Hilfe rufen können. Von den Eltern kommt wenig Unterstützung. In den meisten Familien sind die Schüler die einzigen, die morgens aufstehen. »Wie sollen wir ihnen erklären, dass es trotzdem wichtig ist, in der Schule zu sein und einen Abschluss anzustreben?« Der kriminelle Intensivtäter werde zum Vorbild.
Das ist Wasser auf die Mühlen der Opposition. Sie wirft Senator Böger Versagen vor. Für den Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) ist der Traum des harmonischen Miteinanders längst vorbei. Er sieht sich bestätigt. »Multi-Kulti regelt gar nüscht«, sagt er vor dem Schultor. »Wir müssen in den schwierigen Gebieten mehr in die jungen Leute investieren.« In Neukölln gebe es aber auch Jugendliche aus Migrantenfamilien, die es auf das nahe gelegene Gymnasium schaffen. Aber dafür interessiert sich derzeit niemand. Nicht an allen, aber an einigen Hauptschulen brennt es, die Rütli-Schule ein drastisches Beispiel.
Bildungssenator Böger bestreitet, dass er zu spät gehandelt habe. »Es ist nicht so, als schauten wir über alles hinweg.« Er kenne den Brief der Rütli-Pädagogen an die Schulaufsicht seit Mittwoch. Im kommenden Schuljahr soll die Hauptschule mit der Realschule nebenan zusammengelegt werden

Artikel vom 31.03.2006