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Barbara Sommer

»Der Staat beschränkt sich künftig auf Standards,
Lernziele und Rahmenvorgaben«

Leitartikel
Neues NRW-Schulgesetz

Mehr als
ein
Gesellenstück


Von Reinhard Brockmann
Noch vor dem ersten Jahrestag des Machtwechsels in NRW will Schwarz-Gelb das neue Schulgesetz vom Landtag verabschieden lassen. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und seine Schulministerin Barbara Sommer werden damit zumindest ihr Gesellenstück auf einem ganz wichtigen Feld der Landespolitik durchs Ziel gebracht haben.
Längst ist die Kritik an der anfangs auf der Düsseldorfer Bühne unerfahrenen Schulpraktikerin aus Bielefeld verstummt. Ganz wie ihr Mentor Jürgen Rüttgers beweist Frau Sommer derzeit große Gelassenheit im Umgang mit Anfeindungen, unfairer, aber auch berechtigter Kritik.
Der überarbeitete Gesetzentwurf beweist Lernfähigkeit. Wo Expertenmeinungen die Absichten der Regierenden verbesserten, wurden sie übernommen. Wo allein die Lobby am Werke war, gab's die kalte Schulter. Respekt: Kurs gehalten, mitunter nachjustiert.
Rot-grüne Paragrafen wurden nicht um jeden Preis in schwarz-gelbe umgefärbt, wohl aber wird die neue »Denke« in handfeste Gesetzestexte gegossen. »Der Staat beschränkt sich künftig auf die Vorgabe von Standards, Lernzielen und Rahmenvorgaben«, sagt die Ministerin - sie fängt den befreiten Vogel allerdings sofort wieder ein: »Das Schulsystem ist nach Schulformen gegliedert, aber durchlässig.«
Die Schulen werden in der Tat sehr viel selbständiger als zu rot-grünen Zeiten je erlaubt. Jetzt möchten die Kommunen genauso autonom sein. Sie tragen die Kosten für Gebäude, Schulbücher, Schulweg und alle nichtpädagogischen Mitarbeiter. Und sie haben allen Anlass, Mitsprache zu verlangen. Ein dramatischer Schülerschwund zwingt allen nach der inneren auch noch die äußere Schulreform auf.
Das vorliegende Schulrechtsänderungsgesetz verbessert die Durchlässigkeit, keine Frage. Es kann aber nicht auffangen, dass bis 2021 die Schülerzahlen sinken - um 23 Prozent bei den Hauptschulen, um 17 Punkte bei Gymnasium und Gesamtschule sowie um 21 Prozent bei den längst nicht mehr so stabilen Realschulen. Nicht nur eine, sondern jede der vier Schulformen kann in bestimmten Gemeinden/Städten schon bald vor der Schließung stehen.
An dieser Stelle sucht der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) den Schulterschluss mit den Betroffenen am Ort. Pädagogen und Kommunalpolitiker wollen freie Hand haben zur Bildung von Verbundschulen, um zu retten, was zu retten und bezahlbar ist. Ausgerechnet das neue Schulgesetz verstellt den Weg dahin. Gymnasien werden von Verbünden ausgenommen, Kooperationen von Haupt- und Realschulen nur mit Ministererlaubnis zulässig.
Hier beschränkt sich das Land eben noch nicht auf die »Vorgabe von Standards«. Schon liegt die Forderung nach einer »Experimentierklausel« auf dem Tisch. Nächste Woche beginnt die erste Lesung des Schulgesetzes: Mal sehen, welche Regierungsfraktion so frei ist, ein weiteres Stück Freiheit zu spendieren.

Artikel vom 31.03.2006